Schafkopf
Kurv’n.« Der Mann wies mit dem Stiel der Mistforke die Richtung und überlegte offenbar, ob es angemessen sei, der Polizei Fragen zu stellen. Als er sich die Frage beantwortet hatte, fügte er hinzu: »Hat er was ang’stellt?«
»Nein, tot ist er. Vielen Dank für die Auskunft.« Wallner ließ die Scheibe hochfahren und gab Mike ein Zeichen weiterzufahren.
Nach achtzig Metern kam eine Kurve, dahinter lag ein kleines Haus an dem Feldweg, zu dem die Straße inzwischen verkümmert war. Es war eines der Häuser, wie es die Tagelöhner früher bewohnten. Der Tagelöhner war arm, und entsprechend war sein Häuschen klein und mit wenig Komfort versehen. Eigentlich mit gar keinem. Gemessen am Stand seiner Haustechnik hätte das Anwesen, vor dem Wallner und Mike jetzt standen, einen Platz im Bauernhofmuseum verdient. Das Stromkabel, das über Masten vom Bauernhof hierher verlegt war, zeugte zwar von modernen Zeiten. Nicht so das Äußere des Hauses. Der Putz war großflächig abgeblättert, darunter kam grob gemischter Mörtel zum Vorschein, der Wackersteine und Ziegelabfälle zusammenhielt. Die Fenster waren klein und hatten ihren Anstrich längst verloren. Zwei Scheiben waren gesprungen, eine fehlte ganz und war durch eine kleine Sperrholzplatte ersetzt worden. Im Garten wucherte es zwischen rostigen Gartenmöbeln und einem Mofawrack. Ein verwilderter Bauerngarten war an den Resten des Maschendrahtzauns zu erkennen, der ihn einst umgeben hatte. In einem der Beete herrschte allerdings eine gewisse Ordnung, die aus dem übrigen Chaos herausstach. Auf zwei mal zwei Metern wuchs hier Cannabis.
Wallner ging zur Haustür, hielt einen Moment inne und zog sich Gummihandschuhe an. Mike tat das Gleiche. Eigentlich durften sie einen Ort nicht betreten, den die Spurensicherung noch nicht untersucht hatte. Nicht, dass es im strengen Sinn verboten war. Aber Tina und Lutz waren anschließend mindestens einen Tag lang beleidigt und benahmen sich, als hätten Mike und Wallner die komplette Morduntersuchung gegen die Wand gefahren. In dem Augenblick, als Wallner zur eisernen Türklinke des Häuschens greifen wollte, sah er, dass sich auf der Türschwelle ein feuchter Fußabdruck befand. Die Gummisohle eines Sportschuhs. Jemand war vor nicht langer Zeit durch das nasse Gras zum Haus und anschließend hineingegangen.
Wallner bedeutete Mike, ruhig zu sein, und wies auf den Schuhabdruck. Die Tür war nur angelehnt, was nicht weiter auffiel, da sich die Tür im Lauf der Jahre stark verzogen hatte. Mit einem leisen Quietschen schwang sie auf. Wallner und Mike betraten das Häuschen. Sein Inneres bestand aus einem einzigen Raum, der von einem mit Holz zu befeuernden Herd beherrscht wurde. Des Weiteren war ein ungemachtes Futonbett in dem Zimmer sowie ein Schreibtisch mit Laptop, ein Kleiderschrank von IKEA und mehrere Regale mit Geschirr und anderem Hausrat. Zwei Flickenteppiche bedeckten die braun gestrichenen Dielen des Holzbodens, ein Fernseher mit digitaler Zimmerantenne stand neben dem Futon, neben der Spüle eine Waschmaschine. An der Einrichtung des Zimmers war nichts ungewöhnlich – wenn man von den Wänden absah. Die nämlich waren vollständig bedeckt mit Fotos. Wallner und Mike sahen sich staunend um. Es waren Hunderte von Fotos. Jeder Quadratzentimeter der Wand war mit Aufnahmen bedeckt, deren Format vom Passbild bis Plakatgröße reichte. Die Fotos zeigten alle das gleiche Motiv: eine junge Frau.
Wallner ging auf eines der plakatgroßen Fotos zu, um es näher in Augenschein zu nehmen. Da ertönte von irgendwoher ein metallisches Quietschen. Mike und Wallner erstarrten in ihren Bewegungen. Es gab ein weiteres Geräusch. Es kam von jenseits einer Tür, die der Eingangstür gegenüberlag und in den hinteren Teil des Häuschens führte, der früher als Schweine- oder Ziegenstall gedient haben mochte. Mike zog seine Pistole aus dem Halfter. Wallner öffnete seine Daunenjacke und signalisierte Mike mit bedauernder Geste, dass er seine Pistole im Büro hatte liegen lassen. Mike verdrehte seine Augen genervt zur Decke und ging leise auf die Tür zu. Wallner trat neben ihn und nahm die Klinke in die Hand, während Mike sich so aufbaute, dass er, sobald die Tür offen war, die Waffe in den Raum dahinter richten und notfalls schießen konnte. Wieder war ein Geräusch von jenseits der Tür zu hören. Mike sah Wallner an, Wallner nickte, zählte leise bis drei. Dann riss er die Tür auf.
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12 . Kapitel
D er Raum hatte keine
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