Schakale Gottes
wollte er ebenfalls in der Stadt sein. Ohne Papiere war das freilich nicht leicht; er mußte den Weg über die ›grüne Grenze‹ wählen. Bis dorthin waren es nur noch wenige Kilometer.
Nachdem er den Brief per Eilboten aufgegeben hatte, besuchte er seinen Beichtvater. Der Propst war über die Veränderung seines Äußeren sehr erstaunt und nahm seine Behauptung, er müsse in einer Sondermission nach Krakau reisen, höchst skeptisch auf. Es kam zu einem kleinen Wortgefecht, das durch einen Bauern unterbrochen wurde, der den Propst dringend ersuchte, mit ihm zu kommen und seiner im Sterben liegenden Frau die Letzte Ölung zu geben. Der alte Geistliche war jedoch nicht in der Lage, das Haus zu verlassen. Er bat deshalb den Pauliner, ihn zu vertreten, und so fuhr Pater Rochus, statt zu beichten, wie er es vorgehabt hatte, mit dem Bauern in ein kleines Dorf und erteilte der Bäuerin die Sterbesakramente. Bis zu ihrem Tod, der spät in der Nacht eintrat, blieb er bei ihr. Während dieser Zeit steckte er heimlich eine auf dem Nachttisch liegende Brille ein. Die Sterbende brauchte sie ja nicht mehr, ihm konnte sie aber gute Dienste leisten. Mit der Brille sah er völlig verändert aus. Dem Bauern gab er, gewissermaßen als Äquivalent, beim Abschied fünf Rubel.
Von Lazy, wo er sich in der Apotheke ein Mittel gegen Gliederschmerzen kaufte, brachte ihn ein Fuhrmann über Olkusz zum Grenzgänger Wadas, mit dem er am Donnerstagabend in das von Österreich verwaltete Gebiet hinüberwechselte und sich in Zabrierzow, nur wenige Kilometer von Krakau entfernt, in einer dürftigen Dorfgaststätte einquartierte. Dem Inhaber drückte er zehn Rubel in die Hand und bat ihn, Verständnis dafür zu haben, wenn er sich am nächsten Morgen nicht in der Soutane, sondern im Zivilanzug in die Stadt begeben werde.
Der Wirt blinzelte verschmitzt. »Für zehn Rubel können Sie sich noch ganz andere Dinge leisten.«
»Dann besorgen Sie mir einen Wagen, der mich morgen, und vielleicht auch übermorgen, nach Krakau fährt, dort bis zum Nachmittag auf mich wartet und mich dann nach hier zurückbringt.«
»Was werden Sie zahlen?«
»Zehn Rubel für den Tag.«
»Die Fahrten übernehme ich selber.«
Pater Rochus war dies recht, und so fuhr er am nächsten Morgen in aller Frühe nach Krakau. Hier suchte er als erstes die ›Galizische Bank für Handel und Industrie‹ auf, bei der er mit Natascha einen Safe gemietet hatte. In ihm lagen etliche tausend Rubel und der kostbare Rubin, der als langfristige Sicherung dienen sollte. Er betrachtete den Edelstein mit Bitterkeit, legte ihn dann wie angeekelt zurück und fügte, bis auf einen geringen Rest, alles Geld hinzu, das er noch besaß. Dann begab er sich zur Bahn und hielt sich im Hintergrund, als der Zug aus Warschau einlief. Natascha aber entstieg ihm nicht. Bedrückt fuhr er nach Zabrierzow zurück. Hatte es in Warschau schon Komplikationen gegeben, oder war Natascha nur nicht fertig geworden? Er machte sich Sorgen um sie. Unbegreiflich war es ihm, daß er einmal vorgehabt hatte, sich an ihr zu rächen. Mochte sie getan haben, was sie wollte, sie hatte ihm unvergeßliche Stunden geschenkt. Gewiß, die Folgen waren verheerend, sein Leben war verpfuscht. Doch das war nicht ihre, sondern seine Schuld. Den Preis mußte er nun zahlen.
Am nächsten Vormittag, an dem er wieder am Bahnhof wartete, sah er Natascha aus dem Zug steigen. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Sie hatte ein elegantes schwarzes Kostüm angelegt, das mit einem Zobelkragen besetzt war. Ein weitgeschwungener Hut und ein an einer langen Kette hängender kleiner Muff gaben ihr jenen Chic, der der neuesten Pariser Mode entsprach. Mit der Selbstverständlichkeit einer ›Grande Dame‹ beorderte sie ihr aus drei schweren Lederkoffern bestehendes Gepäck zur Aufbewahrungsstelle, ließ sich den Depotschein vom Träger zum Fiaker bringen, entlohnte ihn und fuhr ab.
Pater Rochus folgte ihr in einem zweiten Wagen. Das Herz blutete ihm. War es angesichts dieser ungewöhnlich schönen Frau nicht töricht, sich der Polizei stellen zu wollen? Er schwankte, war nahe daran, seinen Entschluß rückgängig zu machen, sagte sich dann jedoch: So gelöst und sicher ist Natascha noch nie aufgetreten. Sie ist befreit von den Schatten, die Fedor und ich auf sie geworfen haben. Eine neue Verbindung zwischen uns könnte nur in einer weiteren Katastrophe enden.
Natascha fuhr zur Bank. In angemessenem Abstand ließ Pater Rochus seinen Wagen halten. Er
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