Schakale Gottes
Stunde mit einem erregenden Fluidum auszufüllen.
Um so ernüchterter war sie, als sie plötzlich Fedor auf sich zugehen sah. Er war in animierter Stimmung, trug den Zylinder schief auf dem Kopf und hatte den Umhang keck zurückgeschlagen. Im Knopfloch seines Jacketts steckte eine Nelke. Etwas Verführerisches ging von ihm aus. Sie verglich ihn unwillkürlich mit Pater Rochus. Der war weich wie Watte, Fedor hingegen elastisch wie Stahl. Warum konnte Stahl nicht weich wie Watte sein?
Der Pauliner erhob sich und sagte spröde: »Es wird Zeit, daß wir aufbrechen.«
Seine schnelle Reaktion irritierte Natascha. Sie schaute ihm in die Augen.
Er reichte ihr die Hand. »Ich danke Ihnen für den Abend und ganz besonders für die letzte Stunde. Sie haben mir sehr viel geschenkt.«
Fedor stieß ihn übermütig an. »Nun mal nicht so theatralisch! Heute abend sehen wir uns ja wieder, und dann sind Sie unser Gast!«
Natascha warf ihm einen unwilligen Blick zu. »Mir scheint, du hast zuviel getrunken.«
Er schnitt eine Grimasse. »Deine Beobachtungsgabe ist beängstigend.«
Pater Rochus verabschiedete sich lächelnd von ihm. »Bringen Sie Ihre Schwester gut nach Hause.«
Natascha war verstimmt, als sie das Hotel verließen. Sie ärgerte sich über Fedor, den sie für den plötzlichen Aufbruch verantwortlich machte. Hätte er sich nicht so aufgeführt, würde Pater Rochus gewiß noch etwas sitzen geblieben sein. Sie nahm sich vor, Fedor im Fiaker die Meinung zu sagen, doch dazu kam es nicht, da er sie gleich stürmisch in die Arme riß und ihr zwischen heißen Küssen aufgeregt von seiner Gehaltsverbesserung und von der unglaublichen Summe erzählte, die Pater Rochus der Großen Wohltätigkeitsgesellschaft alljährlich zur Verfügung stellte.
Darüber vergaß Natascha ihre Verstimmung. »Viertausend Rubel?« fragte sie ungläubig.
»Toll, was? Wir brauchen uns also wegen der läppischen dreihundert wirklich keine Gedanken zu machen.«
Natascha blickte nachdenklich vor sich hin. »Und man nimmt an, daß ihm eine Besitzung gehört?«
»Könnte er sonst Stiftungen in solcher Höhe machen? Stell dir vor: viertausend Rubelchen!«
Der hohe Betrag verwirrte Natascha und verursachte einen unerwarteten Sinneswandel. Ihre eben noch euphorisch verschwommenen Gefühle und Empfindungen wichen plötzlich einer Nüchternheit, die kalt wie Äther war. Sie erschrak über sich selbst. Aber kann man Weizen ernten, wenn man Spreu sät? Viertausend Rubel! Das waren monatlich über dreihundert!
Sie strich sich über die Stirn. Was waren das für Gedanken? War sie verrückt geworden?
Fedor zog Natascha zu sich herüber. »Bist du nicht auch allmählich davon überzeugt, daß wir es schaffen werden?«
Sie fürchtete um ihr Kleid und stieß ihn zurück.
»Was ist mit dir?«
»Ach, nichts.« Im nächsten Moment aber umarmte sie den Geliebten und küßte ihn leidenschaftlich. »Halte mich!«
»Hast du Angst, die Tochter meines Chefs könnte dir in die Quere kommen?«
»Unsinn. Ich würde dir nie im Wege stehen.«
»Ich dir auch nicht.«
»Leicht gesagt, wenn weit und breit niemand zu sehen ist.«
Er lachte. »Und was ist mit unserem Goldfisch?«
»Mit wem?«
»Na, wen kann ich schon meinen? Pater Rochus! Oder glaubst du, ich sehe nicht die Funken, die zwischen euch hin und her springen?«
»Was heißt hier Funken?« erregte sie sich. »Er ist ein netter Mensch, und ich hab' dir versprochen, alles in meiner Macht stehende zu tun, um dir zu dem heißersehnten Auftrag zu verhelfen. Das ist alles.«
Natascha wußte, daß sie nicht die Wahrheit sagte. Pater Rochus erregte sie und gab ihr trotzallem ein Gefühl der Geborgenheit. Wenn er nun auch noch vermögend war …
Bei Babuschka mußte alles seine Ordnung haben. Wurden Gäste erwartet, dann durfte partout kein Familienmitglied die Haustür öffnen. Das war Aufgabe der Sluschanka Anusja. Sie hatte die Besucher nach Entgegennahme der Garderobe in den Salon zu führen und die Dame des Hauses zu verständigen. Etwa fünf Minuten nach dem offiziellen Empfang durften die Familienmitglieder folgen.
Anusja führte auch Pater Rochus in den Salon. Er hielt eine Bonbonniere in der Hand und war sich nicht klar darüber, wie er sie übergeben sollte. Seine Unsicherheit wich jedoch, als er sah, daß er noch einen Moment allein sein würde.
Die Einrichtung des Salons machte ihn betroffen, obwohl Natascha ihn vorbereitet und ihm gesagt hatte, daß in der Villa ihrer Tante seit Jahren vieles im
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