Schakale Gottes
gelehriger Schüler.«
Natascha schüttelte den Kopf und verließ den Raum.
Fedor erzählte begeistert von seiner unverhofften Gehaltsaufbesserung und von einer Blume, die am Morgen auf seinem Arbeitsplatz gelegen hatte.
Pater Rochus freute sich mit ihm. »Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß man das Glück unterstützen muß?«
»In diesem Fall haben Sie es getan!«
Der Pauliner hob abwehrend die Hände. »Wer bei anderen sucht, kann sich selbst nicht finden.«
Natascha kehrte mit einem silbernen Tablett zurück, auf dem eine Karaffe und vier Gläser standen.
Fedor übernahm das Einschenken.
Babuschka betrachtete das Kristall mit sichtlichem Vergnügen und sagte: »Auch auf die Gefahr hin, meine Nichte erneut zu schockieren, erlaube ich mir, darauf hinzuweisen, daß meine Gläser, mein Porzellan und meine Bestecke immer noch vollzählig sind. Bis zu meinem Tod werde ich es mir nicht nehmen lassen, hin und wieder ein kleines Festessen zu geben. Und zum nächsten möchte ich Sie, Hochwürden, hiermit herzlichst einladen. Werden Sie kurz vor Weihnachten nach Warschau kommen können?«
Pater Rochus bedankte sich und erklärte, ohnehin vorgehabt zu haben, während der Festtage in der Alexander-Kirche die Messe zu lesen.
»Das ist ja ganz in unserer Nähe!« rief Natascha erfreut.
Der Pauliner nickte und verschwieg, daß er ebendarum diese Kirche in Aussicht genommen hatte. Den ganzen Tag hatte er schon überlegt, wie er es anstellen könnte, Natascha an Weihnachten zu sehen. Ihm standen noch einige ungenutzte Urlaubswochen zur Verfügung. Die Einladung der alten Dame kam ihm daher wie gerufen, und er nahm sich vor, ihr ein schönes Fest zu bereiten. Über das Wie wollte er sich mit Natascha unterhalten.
Während des Essens empfahl ihm Babuschka, sich wie zu Hause zu fühlen und kräftig zuzugreifen, da alles, was auf dem Tisch stehe, ohnehin von seinem Geld bestritten worden sei.
Natascha verlor die Beherrschung. »Ich begreife dich nicht«, empörte sie sich. »Du redest über deine Armut, als wärst du stolz auf sie.«
»In gewissem Sinne bin ich das auch«, erwiderte die alte Dame gelassen. »Ich bin mir nämlich bewußt, daß ich mit meiner jetzigen Lebensart eine Schuld abtrage, die wir einstmals vermögend gewesene Polen auf uns geladen haben. Wir waren so vermessen, kein Verständnis für die Not unserer Mitmenschen aufzubringen. Wir schieben unsere Misere immer den Russen, Preußen und Österreichern in die Schuhe und vergessen, was wir selber angerichtet haben. Übrigens wollte Maria Theresia von der Teilung Polens zunächst nichts wissen. Sie bezeichnete das Vorgehen als höchst unmoralisch und sah nicht ein, daß ›ein dritter Starker hinzukommen muß, wenn zwei Starke einen Schwachen überfallen‹.«
»Und was haben wir angerichtet?« mokierte sich Natascha.
»Sehr viel, mein liebes Kind. Abgesehen von der permanenten Uneinigkeit unseres Adels hat die besitzende Klasse, die in einem unbeschreiblichen Luxus lebte, nicht das geringste für das hungernde Volk getan. Wenn ich an das ›Arkadia‹ denke, das sich die Radziwillowa anlegen ließ, erfaßt mich heute noch Empörung. In ihrem Park gab es ein römisches Amphitheater, eine Nachbildung des Colosseums, Aquädukte und etruskische Ruinen. Man konnte neben einer ägyptischen Sphinx verweilen, einen griechischen Tempel aufsuchen oder sich an der Hütte jenes wegen seiner treuen Liebe berühmt gewordenen greisen Paares Philemon und Baucis erfreuen. Der Sage nach hatten Zeus und Hermes die Hütte in einen prachtvollen Tempel verwandelt; in ›Arkadia‹ strotzte das nach außen armselige Gehöft inwendig von Marmor, Spiegeln und Kristall. Auf einer Wiese lag eine alabasterne Kleopatra. Es gab griechische Statuen, Nymphen, denen künstliche Tränen aus den Augen liefen, einen Tempel der Melancholie, eine Liebesgrotte mit versteckter Orgelmusik, die Nachbildung einer gotischen Kirche, chinesische Türme, einen Kristallpalast, künstliche Wasserfälle und was sich gut bezahlte italienische Architekten sonst noch an Verrücktheiten hatten einfallen lassen. Und die Hausherrin lustwandelte im Gewand einer griechischen Priesterin durch ihren Park. Ihr Haar wurde von einem Goldreif gehalten; um den Hals trug sie einen Kranz aus frischen Blumen; in der Hand hielt sie eine Leier, deren Saiten sie hin und wieder anklingen ließ. Und wer besuchte ›Arkadia‹ und war entzückt von seiner verschwenderischen Fürstin? Friedrich II. und Zar Alexander! Sieger
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