Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)
es ganz nützlich für die Entspannung in Zentraleuropa wäre, würde die DDR an der Grenze etwas souveräner handeln und weniger schießen. Und dass sie bei Jugendlichen und Rentnern wieder die bis 1980 geltende Regelung beim Mindestumtausch einführen sollte: nämlich dass diese Gruppen vom Zwangsumtausch ausgenommen würden. Das könne Erich Honecker ohne erkennbaren Anlass, zu einem ihm genehmen Zeitpunkt, ohne großen Bahnhof erklären. Eine solche noble Geste würde in der Bundesrepublik eine große Wirkung haben.
Honecker verstand die Botschaft und reagierte wenige Tage später souverän und selbstbewusst. Er bestellte Schalck zum Diktat. Aus dem Stegreif formulierte er die Antwort an Strauß, die neben vielen Artigkeiten auch die vertrauliche Ankündigung enthielt, dass es künftig bei den Kontrollen an der Staatsgrenze der DDR ein wenig freundlicher zugehen werde, dass Jugendliche bis zu 16 Jahren vom Mindestumtausch ausgenommen sein würden und dass die Demontage der Selbstschussanlagen SM-70 in Erwägung gezogen werde. (Tatsächlich wurden in den folgenden Monaten bis Ende 1984 diese rund 60.000 Splitterminen an der Staatsgrenze West vollständig abgebaut.)
Die Antwort an Strauß endete mit einer Einladung in die DDR.
Die nahm Strauß auch an. Am 24. Juli 1983 traf er sich mit Honecker in der Schorfheide. Als sie sich zum Foto stellten, bemerkte der Bayer mit Blick auf Honeckers hellen Sommeranzug, dass er mit seinem schwarzen Politikerdress wohl die falsche Gewandung trüge, worauf dieser heiter reagierte: Wieso, Strauß sei doch nun mal ein Schwarzer.
Auch Erich Honecker fand Schalcks Eindruck bestätigt: Strauß war ein intelligenter, geradliniger Mann, der mit offenem Visier kämpfte und kein Blatt vor den Mund nahm. Honecker soll hinterher gesagt haben, dass ihm Konservative von dieser Art wesentlich sympathischer seien als verschwiemelte Sozis, die sich wie Rohr im Winde verhielten.
Bei ihrem zweiten Treffen auf Gut Spöck am 5. Juni ’83, an dem auch Kanzleramtsminister Jenninger teilnahm, wurden die Modalitäten der Transaktion besprochen. Jenninger machte darauf aufmerksam, dass es sowohl der eigenen Bevölkerung wie auch den Verbündeten nur schwer zu vermitteln sei, warum die DDR Geld ohne sichtbare Gegenleistung bekäme. Und das in dieser politischen Großwetterlage, in der alle Zeichen auf Sturm stünden.
Eben darum, sagte Strauß.
Die Sache drohte dennoch zu scheitern, weil Kohl sich selber ins Spiel brachte. Die »Südschiene« lief an Bonn vorbei, und der Kanzler wollte Strauß nicht das Feld und den Triumph überlassen. Jenninger ließ Schalck wissen, dass es der Bundeskanzler begrüßen würde, könnte er Honecker treffen.
Schalck fürchtete, dass es Kohl nicht nur um seine eigene Profilierung ging, sondern dass er weitere Forderungen aufmachen würde. Deshalb reagierte er auf die Anfrage ausweichend.
Kohl selbst ging daraufhin tolpatschig, wie von ihm inzwischen gewohnt, in die Offensive. Auf dem Evangelischen Kirchentag in Hannover deutete er »finanzielle Hilfeleistungen« für die DDR an.
Honecker sah die vereinbarte Vertraulichkeit verletzt und erteilte via Mittag Weisung an Schalck, er solle Jenninger und Strauß dies genau wissen lassen. Das tat der Unterhändler am 19. Juni, um anderentags aus taktischen Gründen nachzulegen: Die DDR wolle die Kredit-Sache zurückstellen.
Natürlich war das Politpoker. Die DDR brauchte den in Aussicht genommenen Kredit, aber sie wollte sich nicht als Bittsteller vorführen lassen. Alles oder nichts, hieß darum die Devise.
Strauß meldete sich 24 Stunden später. Kohl sei damit einverstanden, die Kreditvergabe rein kommerziell zu realisieren und zu kommentieren.
Am 1. Juli 1983 wurde der Vertrag in München in der Bayerischen Landesbank unterzeichnet, nachdem zwei Tage zuvor in Bonn Kohls Kabinett beschlossen hatte, im Ernstfall den Kredit in voller Höhe zu übernehmen.
Schalck nahm die Unterzeichnung des Vertrages als persönliches Geschenk zu seinem 51. Geburtstag.
In der Folgezeit wurde das Kreditvolumen durch weitere Verträge erhöht, die DDR konnte schließlich über insgesamt drei Milliarden D-Mark verfügen, was sie aber nicht tat. Zwei Milliarden wurde nie abgerufen. Dennoch half ihr der Betrag erheblich, denn es war ein Signal an die internationale Finanzwirtschaft. Allein das Wissen um diese optionale Rücklage erhöhte merklich die Bonität der DDR.
Die innenpolitischen Gegner der DDR kritisierten das scharf: Strauß
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