Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)
chinesischen Genossen, die man in Moskau mit den selbstbewussten Asiaten hatte. Als im Kreml die Zügel etwas gelockert wurden, knüpfte Honecker an alte Kontakte an, die Gorbatschow nie besaß.
Erich Honecker war ein Mann, der auf persönliche Bindungen viel gab. Wen er einmal ins Herz geschlossen hatte – und das traf selbst auf politische Gegner wie Franz Josef Strauß zu –, der konnte stets auf sein Wort und seine Verlässlichkeit bauen. So war auch Strauß. Er ließ einmal Schalck-Golodkowski wissen, dass sein Haus für ihn jederzeit offen stünde, sofern er einmal Hilfe benötige. Mehr als ein Dutzend Mal besuchte der Staatssekretär und MfS-Oberst den bayerischen Ministerpräsidenten in dessen Münchner Privathaus, der Umgang war geradezu familiär. Die Basis für diese bemerkenswerte Vertraulichkeit waren die Anerkennung und der wechselseitige Respekt zweier Fachleute vor den Fähigkeiten des anderen.
Als Strauß im Herbst 1988 mit 73 Jahren überraschend starb, war Honecker nicht nur berührt, sondern drauf und dran, an der Beisetzung teilzunehmen. Er konnte nur mit Verweis aufs politische Protokoll davon abgehalten werden, seine Anteilnahme durch physische Anwesenheit zu bekunden. So schickte er Günter Mittag an seiner Statt.
Schalck und Schäuble
Mitte der 80er Jahre verlagerte sich der geheime Gesprächskanal von München nach Bonn. Kohl reklamierte unausgesprochen protokollarische Rechte. Der Ministerpräsident eines Bundeslandes war nicht die Ebene für den Staats-und Parteichef der zweiten deutschen Republik. Das war der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Auch wenn Strauß bei sogenannten Häftlingsfreikäufen und Familienzusammenführungen, bei Vereinbarungen zwischen bayerischen und DDR-Institutionen auf verschiedenen Gebieten unverändert die Strippen zog, lag bei bundespolitischen Themen nunmehr die Federführung im Bundeskanzleramt. Kohl beauftragte seinen Staatsminister Philipp Jenninger mit dieser konspirativen Aufgabe. Als Jenninger Ende 1984 nach Barzels Rücktritt diesem im Amt des Bundestagspräsidenten nachfolgte, wurde der neue Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes Wolfgang Schäuble von Kohl damit beauftragt.
Mit Jenninger hatte sich Schalck nur wenige Male in Berlin getroffen und dabei den zweiten Kredit auf den Weg gebracht, mit Schäuble sprach er in seinem Haus in der Manetstraße, auch mal in einem Gästehaus des DDR-Ministerrates oder in einem des Westberliner Senats, selbst in Schalcks Büro in der Wallstraße, in der »Schlüsselburg«, redete man miteinander.
Doch die Umgebung hatte keinerlei Einfluss auf Schäuble und seine Art zu verhandeln. Er sprach am privaten Kaffeetisch nicht anders als hinter seinem Schreibtisch. Irgendwann sagte er unmissverständlich – und das ist auch in Schäubles Erinnerungen nachzulesen –, dass er
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als Schalck zu tun habe. Deshalb wäre es besser, wenn der Herr Staatssekretär zu den Gesprächen nach Bonn käme.
Dieser Aufforderung kam Schalck nach, schließlich wollte nicht nur Minister Schäuble etwas von der DDR, sondern auch die DDR etwas von der Bundesregierung. Aber sie offenbarte diese Herablassung, mit der die Mehrheit der Bonner Amtsträger auf ostdeutsche Politiker herabblickte. Offenkundig handelt es sich um einen genetischen Defekt, der sich von Generation zu Generation vererbt.
Auf Schäubles Agenda stand beispielsweise das Problem von Flüchtlingen aus der Dritten Welt, die auf dem Zentralflughafen Berlin-Schönefeld landeten und von dort mit Bussen dorthin gebracht wurden, wohin sie eigentlich wollten: nach Westberlin.
Das, was der DDR stets vorgeworfen wurde – nämlich die Freizügigkeit zu beschränken und ihre Bürger daran zu hindern, in den Westen zu reisen –, wünschte man nunmehr auf Transitreisende anzuwenden. Über verschiedene Kanäle, nun auch über Schäuble, wurde wiederholt darum gebeten, dass insbesondere Asylbewerbern aus Sri Lanka, die der dort verfolgten Ethnie der Tamilen angehörten, von den DDR-Behörden die Weiterreise nach Westberlin verweigert würde. Seit drei Jahren waren etwa 20.000 Flüchtlinge aus Fernost über Berlin-Schönefeld gekommen, allein im ersten Halbjahr 1985 hatten über viertausend in Westberlin einen Asylantrag gestellt. Wenn, so signalisierte der Bonner Unterhändler, die DDR das Loch stopfe, könne man auch über die Erhöhung des Swing reden. Beim Swing handelte es sich um einen zinslosen Überziehungskredit. Im sogenannten
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