Schalom
stand sie lange vor der Spüle, wischte sich die Tränen ab und starrte die Maserung der Marmorplatte an. »Egal was – Hauptsache, etwas tun!«, hätte Menachem gesagt. Und sofort bewegten sich ihre Hände wie von selbst.
Sie füllte den Kessel mit Wasser und drückte auf den Einschaltknopf. Danach nahm sie das Tablett, stellte eine Tasse für Kaffee und ein Teeglas für sich selbst darauf, nahm die Kaffeedose aus der Tiefkühltruhe und füllte einen gehäuften Löffel in seine Tasse. In ihr Glas hängte sie einen Teebeutel, und als sie darauf wartete, dass das Wasser anfing zu kochen, tauchte in ihren Gedanken Gils verwundertes Gesicht auf, als sie plötzlich aufgestanden war und ihn allein im Wohnzimmer gelassen hatte.
Sie schob den Kopf aus der Küche und rief: »Ich komme gleich.«
»Das ist in Ordnung, es eilt nicht«, beruhigte sie Menachems Stimme aus dem Wohnzimmer.
In diesem Moment fing das Wasser an zu kochen, sie beeilte sich, den Kaffee und den Tee aufzugießen. Als sie das Tablett mit den dampfenden Tassen ins Wohnzimmer trug, lag das Album noch auf seinen Knien. Sie sah, dass er sich noch nicht alles angeschaut hatte, und wollte ihm sagen, er solle es doch zur Seite legen, sie könnten es später anschauen, außerdem noch andere Alben, aber er kam ihr zuvor, klappte das Album zu und schob es auf die Seite des Sofas.
»Dafür werden wir noch viel Zeit haben«, sagte er, als er ihren Blick bemerkte.
»Ja!«, sagte sie, stellte das Tablett auf den Tisch und gab ihm die Kaffeetasse.
Bevor sie sich neben ihn setzte, sah sie, dass seine Augen nach irgendetwas suchten.
»Fehlt etwas?«, sagte sie.
Er zögerte, dann fragte er, ob der Kaffee schon gesüßt sei. Ihr wurde sofort klar, dass sie aus Gewohnheit keinen Zucker gebracht hatte, sie trank den Tee nur mit Zitrone, und außer Avri, der seinen Kaffee ohne Zucker trank, kam kaum jemand zu ihr.
»Oh, entschuldige einen Moment«, sagte sie und eilte in die Küche.
Vicky trank den Tee mit zwei Teelöffeln Zucker, erinnerte sie sich, als sie die Zuckerdose aus dem Schrank holte, aber sie konnte sich nicht erinnern, wann Vicky zuletzt bei ihr gewesen war.
»Ach, ich habe auch den Kuchen vergessen«, sagte sie, als sie die Zuckerdose vor ihn hinstellte, und eilte wieder in die Küche.
Seit wann war sie eine derart schlechte Gastgeberin? Sie hatte doch erst gestern nachgeschaut, ob sie Kuchen für ihn im Tiefkühlfach hatte. Sie hörte, dass er sagte, das sei doch nicht so wichtig, aber sie beachtete das natürlich nicht und machte die Mikrowelle an. Als das Telefon klingelte, dachte sie zunächst, es wäre die Mikrowelle, doch dann sah sie, dass die Scheibe sich noch drehte, ohne dass das Klingeln aufhörte. Bevor sie begriff, dass es das Telefon war, wurde sie von einer tiefen Genugtuung ergriffen, als sie aus dem Wohnzimmer Menachems Stimme hörte:
»Schalom, hier bei Nechama Silber.«
Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie das letzte Mal ihren Namen mit einem solchen Vergnügen gehört hatte.
12
Avri fuhr täglich nach der Arbeit durch die breite Senke des Arava-Flusses nach Hause. Zwischen schwarz-roten Bergwänden hindurch fügte er sich geschickt in den schnellen Fluss der Lastwagen und Autos ein, die Richtung Süden, bis zur Küste von Eilat, fuhren, aber er war es nicht gewohnt, so früh nach Hause zu fahren. Heute war die Straße fast autofrei, außer einem Lastwagen, den er gerade überholt hatte, sah er niemanden auf der Straße. Deshalb erschreckte ihn das Motorrad, das ihn plötzlich überholte, und seine Hände zogen das Lenkrad nach rechts. Sein Auto schwankte etwas, aber er hatte es gleich wieder in der Gewalt. Noch lange spürte er dieses Erschrecken, dann dachte er wieder an das, was Vicky abends, vor dem Schlafengehen, gesagt hatte. Früher hatte er solche Bemerkungen oft bagatellisiert oder als Schwarzseherei abgetan. Aber die Erfahrung hatte ihm gezeigt, dass ihr Gefühl, wenn es die Kinder betraf, schärfer und empfindsamer war als jede gedankliche Analyse.
»Ich habe das Gefühl, dass etwas zwischen Guy und Noemi nicht stimmt«, hatte sie gesagt.
Er hatte gedacht, die Zeit würde dieser Liebe guttun. Er hatte auch zu Vicky gesagt, sie sehe alles schwarz, als sie von einem Riss zwischen Na’ama und Ya’ir gesprochen hatte, Wochen bevor Na’ama ihnen mitteilte, dass es aus war. Vicky hatte auch die aufkeimenden Schwierigkeiten zwischen Guy und seiner früheren Freundin gespürt, vielleicht sogar eher als Guy selbst.
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