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Schalom

Titel: Schalom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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    Avri lud ihn ein, sein Besuch sei immer willkommen, egal wen er mitbringen wollte. Trotzdem musste er gegen ein gewisses Unbehagen ankämpfen, das bei dem Gedanken in ihm aufstieg, dass er mit irgendeinem deutschen Freund in Guys Zimmer schlafen würde, während Guy die Nächte in den finsteren Hügeln am Rande von Gaza verbrachte und angestrengt durch das grüne Nachtsichtgerät nach Terroristen suchte, die den Schutz der Dunkelheit ausnutzten.

13
    Was zum Teufel war das für ein Klingeln? Mit geschlossenen Augen griff Jaki nach dem Wecker, der ihn aus dem Schlaf riss, schaffte es aber nicht, das nervtötende Klingeln zu stoppen. Er öffnete ein Auge, um zu schauen, ob er den richtigen Knopf erwischt hatte, aber die Rollläden waren heruntergelassen, er konnte nur die Leuchtziffern erkennen. Trotzdem fand er den richtigen Knopf und drückte ihn, aber das Klingeln hörte nicht auf.
    Wieder schaute er zur Uhr, sah, dass es Zeit zum Aufstehen war. Er erinnerte sich daran, dass er in der Nacht, als er von einer Veranstaltung in Köln zurückgekommen war, leise ins Bett gekrochen war, um Anna nicht zu wecken, und vergessen hatte, den Wecker zu stellen. Vielleicht hatte Anna, bevor sie zur Arbeit ging, den Wecker gestellt? Aber sie wusste doch, dass er spät zurückgekommen war und erst am Nachmittag ins Büro gehen wollte. Wütend warf er die Decke zurück und knipste die Leselampe an. Erst jetzt merkte er, dass es nicht der Wecker war, der klingelte, sondern das Telefon, und griff zum Hörer. Welcher Idiot rief um diese Zeit an?
    »Ja!«, fauchte er zornig in den Hörer.
    »Guten Morgen«, sagte Anna. »Habe ich dich geweckt?«
    Was dachte sie denn? Sie wusste doch, dass er heute länger schlafen wollte.
    »Ja«, murrte er.
    »Schon gut, du weißt, dass ich dich nicht ohne Grund geweckt hätte.«
    Auf einmal bekam er es mit der Angst zu tun.
    »Was ist los?«, fragte er. Er setzte sich auf die Bettkante und tastete mit den Füßen nach seinen Hausschuhen.
    Sie sagte: »Du solltest dir die Zehn-Uhr-Nachrichten anschauen, es ist irgendetwas passiert in Israel.«
    Sie sagte Ba’aretz , im Land, und nicht in Israel, und diese Formulierung kam ihm aus ihrem Mund unpassend vor, als wäre sie nur für Israelis reserviert. Er hatte einmal eine entsprechende Bemerkung gemacht und sich sofort eine Bemerkung über die israelische Arroganz eingehandelt. »Ihr solltet daran denken, was dieser Nationalstolz beim deutschen Volk angerichtet hat«, hatte sie gesagt. Obwohl Anna ihn nicht sehen konnte, hätte er sich nicht gewundert, wenn sie ihn gefragt hätte: »Warum lächelst du?«
    Er hatte schon die Frage auf der Zunge, ob sie ihn nur deshalb geweckt hatte. Er konnte die Nachrichten schließlich auch später sehen. Aber er schluckte seine Worte lieber herunter und fragte, was passiert war, und erschrak selbst über den trockenen Ton dieser Frage. Hatte er sich vielleicht daran gewöhnt, dass in Israel immer »irgendetwas passiert«?
    »Jaki?«, sagte sie forschend.
    »Ja, ja, ich muss erst richtig aufwachen«, sagte er und fragte besorgt, was geschehen war.
    »Ein Bus ist in einen Abgrund gestürzt«, sagte sie. »Ich möchte, dass du die Nachrichten siehst und mir sagst, wo das war, sie haben den Ort bis jetzt nicht genannt.«
    Warum zum Teufel spielte es eine Rolle, wo das war? Immer musste sie alles ganz genau wissen. Warum müssen sie immer alles so genau wissen? Und plötzlich erstarrte er. Gil!
    Er sprang aus dem Bett und fragte, ob sie Tel Aviv genannt hatten.
    »Ich habe dir gesagt, dass sie nicht sagen, wo es war«, erwiderte sie. »Und welche Abgründe gibt es in Tel Aviv?«
    Er spürte die Ungeduld in ihrer Stimme nur zu gut und versprach, gleich den Fernseher einzuschalten und sie sofort nach den Nachrichten anzurufen. Er fragte nicht, ob sie Gil angerufen hatte. Wahrscheinlich hatte sie schon selbst daran gedacht und ihn nicht erreicht.
    Als er zuletzt mit Gil gesprochen hatte, hatte er sehr zufrieden von dem Treffen mit seiner Großmutter erzählt, von den netten Leuten, mit denen er arbeitete, und vom Strand in Tel Aviv. Und er, Jaki, hatte sich plötzlich an das Zitroneneis im Sommer erinnert, mit dem sie damals nach Stunden des Wellenreitens den Salzgeschmack im Mund vertrieben hatten. Der Strand von Tel Aviv war zwar nicht der Strand von Haifa, aber es war das gleiche Meer. Und nun dieser Unfall, als gäbe es in Israel nicht genug Probleme mit den Terroraktionen.
    »Und seit wann berichtet man in

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