Schalom
die Auszeichnung »guter Sohn« bekommen, doch trotzdem war es eher etwas, was er tun musste.
»Und was sagst du selbst?« Er wollte Gils Meinung hören.
»Ich sage, dass sie recht hat«, antwortete Gil.
Wieder hörte Avri seine Mutter etwas sagen, was er nicht verstand, weil sie nicht in den Hörer sprach. Danach lachten sie wieder.
Er konnte sich nicht vorstellen, dass Guy, sein eigener Sohn, bei seiner Großmutter saß und Scherze machte. Die Kinder hatten, als sie klein waren, auf ihre Besuche gewartet, und hatten sich gefreut, wenn sie kam. Damals waren sie schnell von der Schule oder dem Kindergarten nach Hause gelaufen. Sie war mindestens für eine ganze Woche zu Besuch gekommen, es lohnte sich nicht, für kürzere Zeit nach Eilat zu fahren. Er und Vicky hatten die Freiheit genossen, die ihre Anwesenheit ihnen geschenkt hatte, und die Kinder liebten ihre wunderbaren Gerichte und die Geschichten, die sie aus seiner und Jakis Kindheit erzählte. Aber das war lange her.
Je älter seine Kinder wurden, umso lockerer wurde die Verbindung zwischen Enkeln und Großmutter. Sie erwiesen ihr natürlich weiterhin die gebührende Ehre und waren höflich zu ihr, aber die Freude über ihre Besuche hielt sich in Grenzen, und nach und nach verloren sie auch das Interesse an ihren Geschichten. Die Besuche wurden immer seltener, sie kam nur noch ein Mal im Jahr, und Guy begleitete seine Eltern nicht mehr, wenn sie zu ihr fuhren. Avri wusste nicht, ob Guy sie jemals allein besucht hatte.
»Ich sehe, dass ihr richtig Spaß miteinander habt.«
Gil verstand nicht, was er meinte, aber Avri dachte bereits an etwas anderes. Sogar durch das Telefon war die Nähe zu spüren, die zwischen den beiden Menschen dort in Haifa bestand. Niemand in der Familie schaffte es, eine solche Nähe herzustellen, sogar früher hatte es das nicht gegeben, nicht mit seinem Vater und bestimmt nicht mit seiner Mutter.
Plötzlich interessierte es Avri brennend, was es war, das seine Eltern ihm nie hatten erzählen wollen. Er konnte sich aber auch nicht erinnern, jemals das Bedürfnis empfunden zu haben, es herauszufinden. Die Wärme, die aus Gils Worten sprach, hatte dieses Bedürfnis geweckt, als biete sich eine Chance, die er nicht verpassen durfte.
»Gil, kann ich dich um etwas bitten?«
Gil sagte sofort Ja, ohne nachzufragen, um was es ging.
Die Bitte brach aus ihm heraus, als würde er sie nie aussprechen können, wenn er es nicht sofort täte. »Gil, ich möchte, dass du herausbekommst, wie die Großmutter damals den Großvater kennengelernt hat.«
Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille, als hätte die Bitte die Freude, die gerade noch geherrscht hatte, zerstört.
»Gil?«, rief Avri.
Gil antwortete schnell: »Ja, ja, ich höre.«
»Kannst du das tun?«
»Großmutter erzählt mir viel, ich bin ganz wild darauf. Für mich ist das eine völlig neue Welt.«
Avri verstand sofort, dass Gil nicht in ihrer Anwesenheit darüber sprechen wollte.
»Okay«, sagte er schnell. »Ich möchte nur, dass du etwas weißt: Dein Vater hat seine Eltern einmal danach gefragt, und sie waren nicht bereit, es zu erzählen.«
Plötzlich schoss es ihm durch den Kopf, dass sie es Gil vielleicht schon erzählt hatte und er längst viel mehr wusste, als er und sein Bruder je erfahren durften.
»Weißt du was? Vergiss, was ich gerade gesagt habe, verhalte dich so, wie du es für richtig hältst, ich spüre, dass deine Besuche Mutter sehr guttun.«
Auch wenn sie es ihm bereits erzählt hatte, konnte Gil es Avri nicht in ihrer Gegenwart berichten. So oder so, wenn sie Gil etwas erzählte, würde er es früher oder später erfahren. Entweder von dem Jungen selbst oder von Jaki.
Avri wunderte sich über dieses seltsame Gefühl, das ihn plötzlich gepackt hatte. Könnte es sein, dass Gils Nähe zu seiner Mutter ihn eifersüchtig machte?
Er wollte dieses Gespräch beenden und bat Gil, seiner Mutter einen Gruß zu bestellen, aber Gil hatte noch ein Anliegen. Er sagte, sie planten einen Besuch in Eilat. Wer ist wir?, überlegte Avri. Gil kam ihm zuvor und fragte, ob er mit einem Freund bei ihnen übernachten könne.
»Wann?«, fragte Avri und wunderte sich sofort über diese dumme Frage, es war schließlich egal, wann, die Zimmer der Kinder waren sowieso frei.
Gil wusste noch nicht, wann genau. Sie waren ja nach Israel gekommen, um in dem Altersheim zu arbeiten, und die Reisen waren nur eine Art Bonus. Wenn es so weit war, würde er sich ein paar Tage vorher
Weitere Kostenlose Bücher