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Schalom

Titel: Schalom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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hatte.
    »Warum muss ich dich immer erst darum bitten?«, fragte sie missmutig. »Siehst du nicht, wie ich mich anstrenge? Kannst du nicht von allein sehen, dass ich Hilfe brauche?« Und dann dachte sie: Was für ein Glück, dass niemand da ist. Wenn mich jetzt jemand sehen würde, würde er denken, ich wäre verrückt, weil ich Selbstgespräche führe oder an Geister glaube.
    Sie nahm ein frisches Laken aus dem Schrank, doch bevor sie es ausbreitete, erschrak sie über das laute Klingeln. Wenn sie in der Küche war, wusste sie nie, ob das Klingeln vom Telefon oder von der Tür kam, aber im Schlafzimmer gab es keinen Zweifel. Das Telefon im Schlafzimmer gab keinen Klingelton von sich, es hatte eine metallische Melodie als Erkennung und diese war nicht mit der Klingel an der Wohnungstür zu verwechseln. Außerdem hörte man die Türklingel im Schlafzimmer nicht mehr so laut. Sie legte das Laken aus der Hand und lief zum Telefon im Wohnzimmer. Das im Schlafzimmer benutzte sie nur, wenn sie im Bett lag. Es stand auf der Kommode und war mit der Hand vom Bett aus zu erreichen, aber wenn sie es benutzen wollte und nicht im Bett lag, musste sie um das Bett herumgehen und sich am Wäscheschrank vorbeidrücken, deshalb ging sie lieber ins Wohnzimmer.
    Früher, wenn das Telefon um diese Uhrzeit klingelte, gab es keinen Zweifel, dass es Avri war, denn außer Zila und ihm riefen nur Spendensammler und Umfragemenschen an, und Zila meldete sich nie vor Mittag. Jetzt konnte es auch Gil sein oder vielleicht sogar Jaki. Seit Gil in Israel war, hatte Jaki schon einige Male angerufen, aber sie konnte sich nicht erinnern, ob es am Vormittag gewesen war.
    Aus dem Hörer kam die Stimme einer unbekannten jungen Frau: »Schalom, spreche ich mit Gils Großmutter?«
    Guter Gott, ist etwas passiert? Sie konnte keine schlechte Nachricht gebrauchen. Schnell bestätigte sie, Gils Großmutter zu sein, und wollte wissen, warum die Frau sie anrief.
    »Nichts ist passiert«, sagte die Frau. »Wir rufen vom Altersheim an, in dem Gil arbeitet. Er ist mit einem Freund unterwegs, und wir wissen nicht, wo die beiden hingefahren sind und wo sie schlafen wollen. Wir dachten, dass Sie es vielleicht wissen, jemand hat nach ihm gesucht, und wir wussten nicht, was wir sagen sollten.«
    »Wer hat ihn gesucht?«, fragte Nechama.
    »Zuerst hat ein Mann angerufen, der sagte, er sei Gils Vater, und später hat derselbe Mann noch einmal angerufen und gesagt, er sei sein Onkel.«
    »Aber wer hat ihn denn nun gesucht?«, fragte sie und verstand nicht, warum diese Frau sie durcheinanderbrachte.
    »Dieser Mann, der zweimal angerufen hat.«
    »Aber wer war das?«
    »Das weiß ich nicht, gnädige Frau, es war aber dieselbe Stimme. Er dachte wohl, dass ich mich an seine Stimme nicht erinnere, weil zwei Tage dazwischenlagen, aber ich habe sie erkannt. Beim ersten Mal sagte er, er sei Gils Vater, und beim zweiten Mal, er sei sein Onkel.«
    Was, zum Teufel, wollten sie von ihr?
    Verärgert sagte sie: »Es tut mir leid, ich weiß nicht, wo Gil ist, er ist nicht bei mir. Außerdem lebt sein Vater nicht in Israel.« Dann legte sie auf.
    Es war eine Frechheit, sie am frühen Morgen mit solchem Unsinn zu behelligen. Ein Mann rief an und sagte, er sei Gils Vater, und jetzt sollte er auch noch sein Onkel sein? Hielten diese Leute sie etwa für verrückt? Sie stand eine Weile am Telefon und wusste, dass sie irgendetwas machen wollte, konnte sich aber nicht mehr erinnern, was es war. Nun gut, es konnte nicht schaden, wenn sie erst einmal eine Tasse Kaffee trank, vielleicht würde ihr Ärger dann vergehen.
    Als sie die Küche betrat, wanderte ihr Blick automatisch zur Uhr. Es war eigentlich gar nicht mehr so früh. Vielleicht war es doch keine Frechheit, sie um diese Uhrzeit anzurufen. Vielleicht hätte sie der jungen Frau, die ohne Hintergedanken angerufen hatte, um sich nach Gil zu erkundigen, nicht so grob antworten sollen. Bestimmt dachten bald alle, sie sei eine nörglerische alte Frau.
    In ihrer Fantasie hörte sie, wie diese junge Frau zu einer Kollegin sagte: »Was für eine alte Hexe.« Das wird sie auch zu Gil sagen, wenn er zurückkommt. Aber wenn sie jetzt im Altersheim anrief, um sich zu entschuldigen, war es zweifelhaft, ob sie den schlechten Eindruck, den sie hinterlassen hatte, noch korrigieren konnte. Im Gegenteil, man würde vielleicht noch denken, dass sie nicht nur jähzornig war, sondern auch eine Nervensäge.
    Das Rauschen des Wasserkochers erinnerte sie aus

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