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Schalom

Titel: Schalom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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die Bäume sah er die Start- und Landebahnen des Flughafens, er drückte auf Wahlwiederholung, um Vicky anzurufen, aber vergeblich. Er sah, wie rechts von ihm ein Flugzeug startete. Als die Räder vom Boden abhoben und das Flugzeug die Nase nach oben hob, drückte er wieder auf Wahlwiederholung. Wieso war Vicky noch nicht an ihrem Arbeitsplatz? Es war schon spät, oder kam es ihm nur so vor, weil er unbedingt mit ihr sprechen wollte? Genau genommen hatte er sie noch nie so früh angerufen, schließlich hatten sie sich erst vor wenigen Minuten voneinander verabschiedet. Er hörte im Radio das Signal für die Nachrichten und beschloss, es danach noch einmal zu versuchen.
    Er hörte die aktuellen Berichte, aber in seinen Ohren hallte immer noch Guys zittrige Stimme nach. Es geschah nicht oft, dass Guy ihn an seinem Privatleben teilhaben ließ, und die Tatsache, dass er ihn angerufen hatte, war einerseits schmeichelhaft, andererseits aber vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass er niemanden hatte, der ihm so nahestand, und Avri war sich nicht sicher, ob das gut war. Natürlich war es schön, dass er für Guy so etwas wie eine Anlaufstelle war, aber väterliche Wärme war wohl doch nicht das, was er jetzt brauchte, besser wäre eine zärtliche Umarmung. Avri konnte nicht wissen, ob Guy in seiner militärischen Umgebung mit irgendjemandem reden konnte.
    Plötzlich drang das Wort »Tourist« an sein Ohr und er musste sofort an Gil denken. Er konzentrierte sich auf den Radiosprecher, der gesagt hatte:
    »Nachdem niemand als vermisst gemeldet wurde, geht die Polizei davon aus, dass es sich vermutlich um einen Menschen ohne Familie handelt, oder um einen Fremdarbeiter oder einen Touristen.«
    Was bedeutete das? Eine unbekannte Leiche? Angespannt hörte er zu.
    Ein Opfer des verunglückten Busses war verbrannt, man konnte ihn nicht identifizieren. Avri erschrak. Er musste im Altersheim anrufen, ob Gil noch im Haus war. Er hatte doch einen Ausflug machen wollen.
    Die Telefonnummer, die er von seiner Mutter bekommen hatte, hatte er zwar ins Telefonverzeichnis eingetragen, aber nicht in seinem Handy gespeichert. Er ärgerte sich über seine Nachlässigkeit.
    Wieder drückte er auf Wahlwiederholung. Was war heute nur los? Er ließ es klingeln, ohne Erfolg. Es war zwar erst einige Minuten her, seit er versucht hatte, sie anzurufen, weil er ihr von seinem Gespräch mit Guy erzählen wollte, und auch da hatte er sie nicht erreicht, aber jetzt war es dringend. Und alles wegen ihres dummen Widerstands gegen Handys.
    Nicht einmal das Argument, dass Guy in der Armee war und es besser war, immer erreichbar zu sein, hatte sie akzeptiert. Nun bekam sie die Quittung. Was, wenn es sich wirklich um Gil handelte? Seine Großmutter hatte ihn gerade erst kennengelernt, man könnte sagen, sie hatte sich in ihn verliebt. Würde sie das überleben? Und wie sollte man Jaki so etwas mitteilen? Nein! Es durfte nicht sein!
    »Ich muss es herausfinden!«, sagte er laut. Seltsam, mit wem sprach er denn hier?
    Er schaute zur Uhr, ob es nicht zu früh war, seine Mutter anzurufen, und drückte die Wähltaste. Er musste immer lange warten, bis sie ans Telefon ging, trotzdem verlor er fast die Geduld, als es unaufhörlich klingelte. Mein Gott, wie lange brauchte sie, um ans Telefon zu gehen? Plötzlich bekam er es mit der Angst zu tun und legte auf. Warum rief er sie an? Es war absolut überflüssig, sie in Angst zu versetzen.
    Aber wenn er seine Mutter einfach noch mal nach Gils Telefonnummer fragte, würde sie ja nicht wissen, wozu er sie brauchte.
    Diesmal wartete er geduldig. Sie war doch eine alte Frau, und zum Glück saß sie nicht immer neben dem Telefon, um zu warten, dass jemand sie anrief.
    »Hallo?«, sagte seine Mutter und er nahm eine Spur von Entrüstung in ihrer Stimme wahr.
    »Guten Morgen, Mutter«, sagte er.
    »Avri?«, fragte sie. »Hast du vorhin angerufen?«
    »Ja.«
    Sie wurde wütend: »Warum hast du nicht gewartet, bis ich mich gemeldet habe?«
    Er zögerte nicht einmal, als er sagte, er habe keine Ahnung, warum das Gespräch unterbrochen wurde, es sei von allein passiert. Außerdem habe er ja gleich wieder angerufen.
    »Schon gut, was gibt’s Neues?«, fragte sie.
    Er wollte etwas Unverfängliches sagen, damit sie nicht auf die Idee kam, es könnte etwas mit Gil passiert sein, aber dann dachte er, dass sie das erst recht misstrauisch machen würde, denn er rief nie wegen Nebensächlichkeiten an, warum sollte er es ausgerechnet heute

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