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Schalom

Titel: Schalom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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fliegen, denn vielleicht brauche er ein Auto, um all die Wege zurückzulegen, die zu erwarten waren. Und außerdem könne er dann direkt von der Arbeit losfahren und müsse nicht nach Eilat zurück, um einen Flieger zu erwischen. Trotzdem beschloss er, erst noch nach Hause zu fahren, um ein paar Sachen einzupacken. Wer konnte wissen, wie lange er bei seiner Mutter bleiben musste, bis sich die Dinge geklärt hatten?

19
    Gil hatte zwar seit dem Unfall nicht mehr angerufen, aber sie hatte auch keine andere Nachricht bekommen. Irgendjemand hätte sich doch bestimmt die Mühe gemacht, sie zu benachrichtigen, wenn Gil etwas passiert wäre. Drei Tage waren nun schon vergangen. Beim Frühstück sprach Anna nicht über den Unfall in Israel, aber seither hatte sie ohnehin kaum etwas gesagt. Bis die Kinder das Haus verließen, konnte er noch annehmen, es sei ihretwegen, doch auch danach erwähnte sie den Unfall mit keinem Wort. Jaki spürte die Angst, die hinter ihrem Schweigen steckte, und obwohl er es vor sich selbst nicht zugab, wusste er, dass auch sie nicht an seine vorgetäuschte Ruhe glaubte. Er bestritt, dass es einen Grund zur Sorge gab, aber als sie sagte, sie wisse, dass auch er beunruhigt sei, gab er ihr einen Kuss und sagte nichts.
    Im Altersheim hatten sie steif und fest behauptet, Gil sei bis zum Ende der Woche auf einem Ausflug. Die Frau, die nun seinen zweiten Anruf im Altersheim annahm, sprach lange darüber, dass die Mitarbeiter versuchten die Volontäre zu überreden, ihre freien Tage während der Feiertage zu nehmen, schließlich waren sie selbst daran interessiert, wegen der Zulagen an den Feiertagen zu arbeiten. Für die Volontäre spielte das nämlich keine Rolle, sie bekamen nur ein Taschengeld, das nicht vom Altersheim bezahlt wurde.
    Sie fand kein Ende, aber er unterbrach sie und fragte, ob sie sicher sei, dass Gil nicht an dem Unfall in Galiläa beteiligt war.
    »Natürlich«, sagte sie verwundert. »In allen Zeitungen stand, dass der einzige nicht identifizierte Tote um die vierzig Jahre alt war, und Gil ist doch noch nicht mal zwanzig.«
    Er war erschüttert. Ein Toter war also noch immer nicht identifiziert, das hatte er nicht gewusst. Sie plapperte weiter, aber er konnte nicht mehr zuhören. Sein ganzer Körper wurde steif, er legte auf.
    Er würde Anna kein Wort darüber sagen. Aber wieso hatte er das bisher nicht erfahren? Am Tag des Unfalls hatten er und Anna alle möglichen Internetseiten mit hebräischen Nachrichten durchgeblättert. Vermutlich hatte man da noch nichts über die Identifizierung der Opfer geschrieben, um die Angehörigen zu schonen. Und als dann schwülstige Todesanzeigen erschienen waren, hatten sie das Interesse verloren.
    Sie hatten den Kindern nichts gesagt, aber natürlich spürten die Kleinen die Spannung im Haus und verschwanden immer so schnell wie möglich. Vielleicht dachten sie, dass es zwischen ihm und Anna Streit gab, und wollten ihnen Zeit geben, die Dinge zu glätten. Jaki hatte keinen Zweifel, dass besonders Ruth, die Kleinste, empfindsam für so etwas war. Jonathan hätte von sich aus nichts bemerkt. Vermutlich hatte sie ihn darauf aufmerksam gemacht und sie hatten gemeinsam beschlossen, sich nicht einzumischen. Er hätte es ihnen gern erzählt, aber da Anna kein Wort sagte, wagte auch er nicht, das Thema anzusprechen. Wenn er es sich überlegte, meinte er, es sei vielleicht besser, sie nicht hineinzuziehen, um die Angst, Gil könnte etwas zugestoßen sein, so gering wie möglich zu halten.
    Als Anna zur Arbeit ging, begleitete er sie zur Tür und gab ihr einen langen Abschiedskuss. Anna hielt ihn ganz fest und schaute ihn an. Lange standen sie so im Eingang und schauten sich schweigend an. Das Flehen, das er in ihren Augen zu sehen glaubte, gab ihm das seltsame Gefühl, schuldig zu sein, als müsste er noch mehr unternehmen.
    Als sie hinunterging, stand er noch lange an der Tür und lauschte, wie die Holztreppe unter ihren Schritten knarrte. Erst als die Haustür zufiel, ging er wieder hinein. Bis er das Haus verlassen musste, um zur Arbeit zu gehen, blieb ihm noch eine halbe Stunde. Er griff nach dem Telefonhörer. Lange stand er so da, den Hörer in der Hand, dann überlegte er es sich anders und ging schnell zum Balkon. Er sah gerade noch, wie Anna die Autotür aufmachte. Sie hatte ihn nicht bemerkt, aber als sie sich hinter das Lenkrad setzte, öffnete sie plötzlich das Fenster und winkte ihm zu. Er winkte zurück und blieb so lange auf dem Balkon

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