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Schalom

Titel: Schalom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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höre. Warum hast du solche Angst? Man weiß doch noch gar nicht …«
    Sie unterbrach ihn schreiend: »Avri! Erzähl mir keine Märchen! Ich will genau wissen, was passiert ist.«
    Avri erschrak über die Autorität und Stärke in ihrer Stimme, und wie früher gehorchte er. Er begann mit der Nachricht, dass die Polizei vermutete, der Betreffende sei »ungefähr vierzig Jahre alt«, sodass es sich sehr wahrscheinlich nicht um Gil handelte. Er selbst war sehr erleichtert gewesen, als er das von der Sachbearbeiterin gehört hatte. Jetzt hoffte er, dass diese Auskunft seine Mutter ebenfalls beruhigte. Danach wollte er ihr alles erzählen, was er nach dieser Nachricht unternommen hatte. Aber sie unterbrach ihn energisch.
    »Hast du mit eigenen Augen gesehen, dass es sich nicht um Gil handelt?«
    Noch nie hatte sie in solch einem Ton mit ihm gesprochen und er spürte so etwas wie Angst. Er wusste, dass es jetzt kein Zurück mehr gab, er musste Jaki sofort anrufen, und auf einmal war ihm klar, dass ihm die Dinge entglitten und dass er sofort aufstehen musste, um zu seiner Mutter zu fahren.
    Bei der Polizei war ihm mitgeteilt worden, dass der Betreffende wegen der starken Verletzungen nicht identifiziert werden konnte, vor allem habe er starke Verbrennungen erlitten. Das wollte er ihr nicht sagen. Er sagte nur, dass er den Betreffenden noch nicht gesehen hatte, wegen der Entfernung, dass er aber sowieso in den Norden fahren müsse. Natürlich würde er auch zu ihr kommen. Er achtete sorgfältig darauf, »der Betreffende« zu sagen, nicht »der Tote«.
    »Ja, ja, ich weiß«, sagte sie. »Hauptsache, dass du endlich kommst, hier ist sonst niemand.«
    Er wusste nicht, was sie meinte, wollte aber nicht zu viel nachforschen.
    »Ich verspreche dir, dass ich bis heute Abend bei dir bin, Mutter. Und mach dir keine Sorgen, vielleicht wird man Gil bis dahin finden. Auch im Altersheim hat man mir versprochen, nach ihm zu suchen.«
    Er wusste, dass seine Sekretärin die Nase rümpfen würde, wenn er ihr befahl, alle Termine für den Nachmittag zu stornieren, aber er zögerte nicht eine Sekunde. Er musste auch Vicky informieren. Bestimmt würde sie ihm vorschlagen, direkt von der Arbeit loszufahren und nicht nach Eilat zurückzukommen, nur um zu duschen oder den Kulturbeutel zu packen, aber er würde nicht darauf verzichten, und …
    Seine Mutter unterbrach seine Gedanken und erinnerte ihn daran, dass sie noch in der Leitung war: »Hast du schon mit Jaki gesprochen?«
    »Nein«, sagte er. Er begriff, dass auch das nicht ausbleiben würde, trotzdem hielt er es für besser, diesen Anruf so lange wie möglich hinauszuschieben. »Sie haben versprochen, mich sofort zu benachrichtigen, wenn das Alter des Betreffenden und weitere Einzelheiten feststehen«, sagte er. »Danach werde ich mit Jaki reden.«
    »Haben sie dir gesagt, Gil könnte möglicherweise der Betreffende sein?« Die Angst in ihrer Stimme nahm zu.
    Er hatte ihr nicht erzählt, dass man ihn um DNA -Proben gebeten hatte, von Gils Kamm oder einer Tasse, die noch nicht gespült war. Er hatte sie an das Altersheim verwiesen. Er hätte ihnen die Proben gern besorgt, aber er war in Eilat. Doch nun, da er beschlossen hatte, in den Norden zu fahren, überlegte er, dass er vielleicht noch vor der Polizei das Altersheim erreichen konnte, denn für die Polizei war Gil nur eine Möglichkeit unter vielen, eine eher unwahrscheinliche. Er musste sich nach der Adresse des Altersheims erkundigen. Plötzlich erinnerte er sich, dass man ihn gefragt hatte, ob Gil rauche, und er hatte darauf keine Antwort gewusst.
    »Auch ein Zigarettenstummel kann helfen«, hatten sie gesagt. Und jetzt hörte er, wie er die Frage an seine Mutter weitergab.
    »Wer?«, fragte sie verwundert.
    »Gil.« Schon bereute er, es gefragt zu haben.
    »Wieso rauchen? Glaubst du, Zigaretten sind das, was ihm jetzt fehlt? Was hast du nur für einen Quatsch im Kopf?«
    Die Wut in ihrer Stimme brachte ihn fast zum Lachen. Er hatte ihr natürlich nicht erklärt, warum er gefragt hatte, ob Gil rauche. Jetzt sagte er schnell, er müsse aufhören, weil er noch einiges zu erledigen habe und sich dann auf den Weg machen wolle.
    Die Sekretärin rümpfte die Nase dann doch nicht. Sie sah ihm nicht in die Augen und meinte, er soll sich »um die kleinen Dinge des Büros« keine Gedanken machen. Er fragte sich, ob sie wusste, was ihn quälte, denn sie behandelte ihn, als hätte er ein Unglück erlebt.
    Vicky hatte ihm vorgeschlagen, nicht zu

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