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Schalom

Titel: Schalom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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wussten. Sie hatte inzwischen zwar einige Sendungen im Fernsehen über den Unfall gesehen, aber nicht anders reagiert als bei den üblichen Unfällen oder Terroraktionen. Sie hatte auch gehört, dass eine Leiche noch nicht identifiziert war, aber wieso sollte ausgerechnet der Junge unter den Opfern sein? Nein! Das durfte sie nicht denken. Menachem hatte immer gesagt, sie solle nicht an die schlimmen Dinge von damals denken. Bestimmt würde er jetzt sagen, dass es besser sei, auch hierüber nicht nachzudenken. Menachems Rat war immer, etwas zu tun. Egal was. Hauptsache, man beschäftigte sich mit etwas.
    Als sie sich daran erinnerte, legte sie das Telefon wieder hin und eilte in die Küche. Obwohl sie vorhin erst eine Tasse Kaffee getrunken hatte, stellte sie den Wasserkocher wieder an, nahm ihre Tasse vom Abtropfständer und kippte Kaffeepulver hinein. Das Frühstücksgeschirr war schon gespült, sie hatte eigentlich nichts zu tun in der Küche. Zum Lebensmittelgeschäft hatte sie ebenfalls schon gehen wollen. Hätte sie im Treppenhaus nicht Professor Salzbad getroffen, wäre sie jetzt schon zurück vom Einkaufen. Vielleicht war es besser, jetzt zum Lebensmittelgeschäft zu gehen, statt sich innerlich zu zerfressen? Doch was war, wenn Avri gerade dann anrief?
    Menachem hatte gesagt, man solle etwas tun, egal was. Aber was sollte sie gegen diese schreckliche Angst tun, ohne Menachem? Es stimmte, dass er ihr ab und zu half, aber er war nicht wirklich anwesend. Sie lebte schon seit Jahren ohne ihn. Zum Glück hatte sie Avri und Jaki, der manchmal schrieb, und Zila … O weh, wie lange hatte sie nicht mehr mit Zila gesprochen? Sie musste es ihr erzählen. Sie verließ die Küche und ging zum Telefon, aber der Apparat war nicht in der Station. Ihre Augen suchten die Diele und die Essecke ab, bis sie sich erinnerte, dass das Telefon auf dem Sofa im Wohnzimmer lag. Als sie den Rufton hörte, fiel ihr ein, dass sie Zila noch nichts von Gil erzählt hatte, weil sie ihr nicht hatte sagen können, wie ähnlich er Menachem sah. Wie sollte sie ihr nun erklären, dass er … dort im Bus …? Sie wagte es noch nicht einmal, den Gedanken wirklich zu denken. Schnell legte sie wieder auf, bevor Zila am Telefon war. Noch hatte niemand gesagt, dass Gil im Bus gewesen war. Das Ganze war nur eine zwar verständliche, aber völlig unbegründete Angst.
    »Gott, was nun?« Sie wandte sich an das Foto des lächelnden Menachem über der Kommode. Plötzlich ärgerte sie sich über ihn.
    »Was lächelst du so?«, zischte sie und erschrak selbst bei diesen Worten.
    Seit seinem Tod war sie nie wütend auf Menachem gewesen. Auch früher nur selten. Aber jetzt? Woher kam diese Wut?
    Konnte es sein, dass sein Blick spöttisch war oder tadelnd? Wieder schaute sie das Foto an, aber nun waren seine Augen sanft. Er wollte sich nicht mit ihr streiten. Wie hatte sie so etwas überhaupt in Erwägung ziehen können? Selbst wenn er glauben würde, sie habe falsch gehandelt, wäre er nicht schadenfroh gewesen. Sein Lächeln über der Kommode strahlte sie an, ermunterte sie, als wollte er sagen, sie solle ihre Zeit nicht mit ihm verschwenden und sich jetzt lieber auf Gil konzentrieren.
    Wieder nahm sie das Telefon, drückte die Kurzwahltaste für Avris Büro, und als sie die Ruftöne hörte, schaute sie Menachem dankbar an und setzte sich.

18
    Erst als Vicky auflegte, erinnerte sich Avri daran, dass er ihr nichts von Guys und Noemis Trennung erzählt hatte. Er hatte ihr in allen Einzelheiten berichtet, was die Pflegerin im Altersheim und seine Mutter gesagt hatten, und vergessen, von seinem Gespräch mit Guy zu erzählen. Jetzt rief er sie schnell wieder an.
    »Was ist passiert?«, sagte Vicky erschrocken gleich nach dem ersten Klingelton.
    Avri sagte: »Die Hauptsache habe ich vergessen! Ich hatte dich angerufen, um dir von Guys Anruf zu erzählen.«
    Er war verblüfft zu hören, dass Vicky schon Bescheid wusste. Guy hatte es ihr ebenfalls erzählt. Vielleicht sogar noch vor ihm, aber das war es nicht, was ihn überraschte. Er hatte den ganzen Morgen versucht, sie anzurufen, um es ihr mitzuteilen, und sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, es ihm zu sagen.
    »Ich hatte es dir doch gesagt«, sagte Vicky.
    Damit meinte sie, sie hatte es kommen sehen. Aber warum hatte sie ihm nicht gesagt, dass sie schon mit Guy gesprochen hatte?
    Vicky hörte ihm an, dass er gekränkt war, und bevor er sich weiter hineinsteigern konnte, stoppte sie ihn. Sie wusste von Guy,

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