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Schalom

Titel: Schalom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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fragend.
    »Hallo, Mutter! Nein, hier ist nicht Avri, ich bin’s, Jaki«, antwortete er schnell.
    »Jaki?«, sagte sie überrascht, als hätte sie nicht damit gerechnet, dass er jetzt anrufen würde. »Was ist passiert? Weiß man schon etwas?«
    »Was soll man wissen?«, fragte er.
    Er hörte, wie sie auf der anderen Seite der Leitung schnaufte, eine Antwort gab sie ihm nicht.
    Er fragte wieder, und kalter Schweiß lief über sein Gesicht: »Mutter, was soll man wissen?«
    Das Eichhörnchen sprang über den Ast und verschwand hinter dem Baumstamm, als hätte es die Angst gespürt, die Jaki gepackt hatte.
    Dann sagte seine Mutter endlich: »Wie, hat Avri nicht mit dir gesprochen?«
    »Nein«, sagte er, »das hat er nicht. Ich möchte, dass du mir alles erzählst, was passiert ist, Mutter!«
    Sie versuchte ihn zu beruhigen: »Nichts ist passiert, Jaki, aber Avri macht sich Sorgen, weil Gil auf einem Ausflug ist und niemandem gesagt hat, wohin er fährt. Und er ruft nicht an und man kann ihn nicht anrufen, weil niemand weiß, wo er ist, und er hat auch kein Taschentelefon, wie Avri eines hat, und …«
    Jaki unterbrach sie mit fester Stimme: »Mutter! Beruhige dich und versuche, meine Fragen zu beantworten. Ich möchte wissen, was ihr wisst, nicht was ihr nicht wisst.«
    »Wir wissen gar nichts, Jaki. Avri ist sehr besorgt, weil es vor wenigen Tagen einen Unfall gab, dabei sind Menschen zu Schaden gekommen, und einer von ihnen, also von den Verletzten, man vermutet, dass er ein Tourist ist, aber man weiß nichts Genaues. Und man sagt auch, dass er älter ist, und man hat Avri gesagt, dass es nicht Gil ist, aber Avri …« Sie schwieg kurz, und er meinte in ihrer Stimme ein Schluchzen zu hören: »Ich habe eine furchtbare Angst, Jaki«, sagte sie, und plötzlich brach der Damm, den sie mühsam aufrechterhalten wollte, sie weinte. »Avri hat gesagt, dass er kommt, aber er ist noch nicht da und ich bin allein, und Vater ist nicht da, und auch Gil nicht, und ich habe schreckliche Angst.«
    Jaki versuchte, sie zu beruhigen: »Mutter, wenn Avri gesagt hat, dass er kommt, dann kommt er.« Aber er konnte ihr Schluchzen nicht stoppen und er konnte seine eigene Angst nicht verstecken.
    »Er hat gesagt, dass er kommt, aber ich fühle mich allein, und Gil … ich weiß nicht, wo er ist.«
    Jaki begriff, dass er von seiner Mutter nichts Neues erfahren würde. Und die Angst schnürte ihm die Kehle zu. Wieder sah er das Bild des zerschmetterten, rauchenden Busses vor sich, der unten im Canyon lag, er sah die Sanitäter, die aus dem Bus Verletzte bargen.
    Niemand wusste etwas über Gil, und seine Mutter war dort allein und brach gleich zusammen.
    »Mutter«, sagte er, »ich rufe Avri an.«
    »Ja, tu das, er hat gesagt, er wird mit dir sprechen.«
    Trotzdem wollte er nicht sofort Avri anrufen. Sein Blick wanderte über den Garten. Alles dort schien stumm. Er konnte nur die Bewegung der Blätter im Wind sehen. Er wusste, dass der Garten mit seiner vorgetäuschten Stille voller Leben steckte, aber er konnte sich jetzt nicht darauf konzentrieren. Statt Avri anzurufen, rief er Anna an. »Anna, ich habe mit meiner Mutter gesprochen.« Er versuchte sich zu beherrschen und den Kloß, der in seinem Hals steckte, hinunterzuschlucken.
    Anna war kontrolliert wie immer. »Und? Gibt es etwas Neues?«, fragte sie.
    Er konnte nichts mehr sagen. Er wollte ihr vom Gespräch mit seiner Mutter erzählen, wie sie die Beherrschung verloren hatte, aber seine Kehle war zugeschnürt und er konnte kaum atmen.
    »Jaki, bist du in Ordnung?«, hörte er sie sagen und auf einmal gab er seinen Gefühlen freien Lauf.
    »Ich habe Angst, Anna«, brach es aus ihm heraus, ohne dass er sich Rechenschaft darüber ablegte, welche Angst seine Brust zu sprengen drohte. »Ich muss zur Arbeit gehen, aber mir ist kalt und ich habe solche Angst, Anna.«
    Er stützte seine Stirn in die Hände und starrte schweigend in den Garten.
    »Rühr dich nicht vom Fleck«, sagte Anna. »Warte auf mich, ich komme schon, hörst du mich? Bleib da, ich bin gleich zu Hause.«
    Während er versuchte, das Schluchzen zu unterdrücken, sagte er: »Meine Mutter hat am Telefon geweint, sie hat gesagt, dass sie Angst hat.«
    »Jaki, hörst du?«, wiederholte Anna. »Warte auf mich, ich bin gleich zu Hause.«
    Als sie auflegte, hörte er plötzlich wieder die leisen Geräusche aus dem Garten. Die Blätter raschelten im Wind und das Vogelgezwitscher aus den Bäumen füllte seine Ohren.

20
    Professor Sad

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