Schalom
nicht widerstehen können und durch die Lamellen der Jalousie geschaut. Er war wie vom Blitz getroffen, als er eine behaarte Männerbrust und die weiße Seife in der Hand des Mannes gesehen hatte, mit der er seine Brust einseifte. Sogar als Herr Silber noch am Leben war, hatte er eine solche Überraschung nie erlebt. Damals wusste er, dass Herr Silber sich morgens duschte, und war um diese Zeit gar nicht erst ans Schlafzimmerfenster gegangen.
Lieber Gott, was hatte ein Mann in der Dusche von Frau Silber zu suchen? Sofort fiel ihm der neue Enkel ein. Er hatte ihn zwar nicht ankommen gesehen, aber er konnte es natürlich sein. Trotzdem war es seltsam, dass dieser Knabe, der sich noch kaum rasieren musste, eine so behaarte Brust hatte. Er wunderte sich, dass er mit einem einzigen Blick gesehen hatte, wie behaart diese Brust war. Doch genau das war es, was ihn erschreckte.
Mit was für einem Blödsinn beschäftigte er sich? Was ging es ihn an, ob die Brust von Frau Silbers Enkel behaart war oder nicht? Was ging es ihn überhaupt an, wer sich bei ihr duschte? Und warum musste es ihn dermaßen erschrecken? War es nur, weil er ein einsamer Mann war, gewohnt, morgens aufzustehen, seinen Kaffee zu trinken, zur Bibliothek zu gehen, dort in Büchern zu wühlen, um das zu finden, von dem er schon wusste, dass er es dort finden würde, dann wieder nach Hause zurückzukehren, um sich auszuruhen, sich ein fertiges Schnitzel vom Supermarkt aufzuwärmen, die Teilansicht der Brust von Frau Silber zu erspähen und früh ins Bett zu gehen? Da war es eigentlich klar, dass ihn eine männliche Brust, die voller Seifenschaum in seine Routine platzte, mit Schrecken erfüllte. Könnte es sein, dass auch er beobachtet wurde, während er unter der Dusche stand und sich einseifte?
Erschrocken lief Professor Salzbad zu seinem Badezimmerfenster und stellte erleichtert fest, dass vom vierten Stock gegenüber nur die Mauer zu sehen war. Er erinnerte sich sofort, dass auch bei ihm so eine Mauer da gewesen war, bevor er ein Fenster durchbrechen ließ. Damals hatte er ehrlich nicht daran gedacht, dass er dann das Badezimmer der Silbers sehen konnte, aber Herr Silber hatte sich gewundert, warum er das getan hatte. Hatte er etwa vermutet, dass er heimlich durch die Lamellen spähte?
Nein! Herr Silber war immer nett zu ihm gewesen. Vielleicht sogar zu nett. Hätte er Verdacht geschöpft, dass er, der Professor, heimlich seine Frau beobachtete, wäre er bestimmt nicht mehr so freundlich zu ihm gewesen.
Ein kurzer Blick auf die Uhr verriet ihm, dass sein Gefühl ihn nicht getrogen hatte, es war Zeit für eine Tasse Kaffee. Er ging in die Küche, um den Schnellkocher einzuschalten, und überlegte dabei, ob Frau Silber auch solche inneren Signale hatte, die ihren Alltag bestimmten. Nein, bei ihr wäre das nicht möglich. Sie ist zwar die meiste Zeit allein zu Hause, sie verbrachte sogar mehr Zeit in der Wohnung als er, denn er ging jeden Morgen zur Bibliothek, aber sie hatte Söhne und Enkelkinder. Sie bekam nicht wie er nur Anrufe von Leuten, die irgendwelche Spenden sammelten oder eine Umfrage machten. Außerdem konnten ihr Sohn oder die Enkelkinder plötzlich auftauchen. Der neue Enkel schien ja ziemlich oft zu kommen. Die anderen Enkel, die Kinder ihres ältesten Sohns, der sie ab und zu besuchte, waren völlig verschwunden. Zumindest war er ihnen schon ewig nicht begegnet. Aber was ging es ihn an? Hatte er sonst nichts zu tun? Seltsam, dass eine behaarte Brust voller Seifenschaum in der Dusche der alten Frau seinen klaren Verstand so durcheinanderbringen konnte.
26
Die Ansage am Telefon bestätigte die Ankunftszeit, die Anna ihm genannt hatte.
Zuerst würde er ihnen die Überlegungen mitteilen, die Gils Freund Karl-Heinz betrafen. Nun ja, möglicherweise waren Gil und er nicht zusammen unterwegs. Aber im Altersheim hatte eine der Pflegerinnen gemeint, Gil hätte von einer gemeinsamen Reise nach Eilat gesprochen. Allerdings war es nicht sehr wahrscheinlich, dass Gil mit seinem Freund nach Eilat fahren würde, ohne ihn vorher angerufen zu haben. Das heißt, das, was die Pflegerin gehört hatte, könnte eine spätere Reise betreffen und nicht die aktuelle. Gil hatte versprochen, ihn anzurufen, wenn er nach Eilat fahren wollte, schon weil er eine Unterkunft brauchte.
Avri rief Vicky an. Er erzählte ihr von der neuen Erkenntnis. Sie meinte, man müsse trotzdem auf jeden Fall die Identifizierung abwarten, um jeglichen Zweifel auszuschließen. Sie
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