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Schalom

Titel: Schalom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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erkundigte sich, ob er seiner Mutter vorgeschlagen hatte, ihn zum Flughafen zu begleiten. Und als er ihr erklärte, dass er das nicht getan hatte, sagte sie nur: »Aha.«
    Wenn sich die ganze Angelegenheit geklärt hatte und Gil endlich gefunden war, wie er hoffte, würde er Jaki zur Mutter bringen müssen. Dafür bat er Vicky vorsorglich um Hilfe. Er wollte, dass sie Anna für einen oder zwei Tage nach Eilat einlud, sonst wäre Jaki bestimmt nicht bereit, seine Mutter zu besuchen.
    »Kommt Zeit, kommt Rat«, sagte Vicky. Zwischen seiner Mutter und Gil sei es doch ganz gut gelaufen. Sobald er wieder da wäre, würde sich auch dieses Problem lösen.
    In der Zwischenzeit rief seine Mutter zum Frühstück, und Avri verabschiedete sich von Vicky mit dem Spruch: »Du hast wie immer recht.«
    Zu Hause achtete er nie darauf, ein geregeltes Frühstück zu sich zu nehmen, aber bei seiner Mutter freute er sich darauf. Das Omelett dampfte schon auf dem Teller, daneben stand eine Tasse Milchkaffee, und ein frisches Brötchen war schon mit Butter geschmiert. Er lächelte seine Mutter an, und es entging ihm nicht, wie glücklich sie war, weil es ihm so gut schmeckte. Er konnte nicht feststellen, ob das Brötchen wirklich frisch war, das heißt, ob sie heute, bevor er aufgewacht war, schon eingekauft hatte, so wie früher, bevor er und Jaki zur Schule gingen, oder ob sie ein tiefgefrorenes Brötchen aufgetaut hatte, aber er fragte sie nicht danach.
    »Wenn Jakis Maschine gelandet ist«, sagte sie, »möchte ich, dass du anrufst und mir sagst, dass alles in Ordnung ist.«
    Als Avri die Tür öffnete, um zum Flughafen aufzubrechen, kam gerade der Nachbar von oben die Treppe herunter.
    Seine Mutter erschrak. Plötzlich verabschiedete sie sich sehr schnell von ihm und blieb nicht wie sonst an der Tür stehen und schaute ihm nach, bis er verschwunden war. Wie seltsam. Die Nachricht, dass Anna nach Israel kam, hatte sie wohl aus dem Gleichgewicht gebracht.
    Avri begrüßte den Professor und hörte verwundert, dass der Mann sagte, er habe ihn für den neuen Enkel seiner Mutter gehalten. Er fragte sich, wann er Gil überhaupt getroffen hatte, trat zur Seite und ging dann hinter ihm die Treppe hinunter.
    »Ihre Mutter hätte die Chance, ihn mir vorzustellen, nicht versäumen sollen«, sagte der Professor. »Sie ist sehr stolz auf ihn, und mit recht! Ein hübscher Junge, dem man anmerkt, dass er eine gute europäische Erziehung genossen hat.«
    »Danke, danke«, sagte Avri, als handelte es sich um seinen eigenen Sohn. »Und dass Sie sich getäuscht haben und mich für ihn gehalten haben, darf ich wohl als Kompliment auffassen.«
    Der Professor, der gerade durch die Haustür trat, blieb stehen, schaute Avri verwundert an und sagte: »Ich glaube, dass er größer ist als Sie, nicht wahr?«
    Avri grinste: »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Herr Professor, schließlich waren Sie es, der uns verwechselt hat.«
    »Ja«, sagte der Professor, »aber wie konnte ich bloß denken, dass dieser Junge … Schon gut, das ist nicht wichtig! Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag!« Er brach ab und ging schnell davon.
    Avri blickte diesem seltsamen Nachbarn seiner Mutter nach. Bevor er zum Auto ging, hob er noch einmal den Kopf und sah, dass seine Mutter ihn von Fenster aus beobachtete. Er winkte ihr zu und bog zum Parkplatz hinter dem Haus ab.
    Ohne Eile fuhr er die Allenby-Straße entlang, Richtung Küstenstraße. Auf der rechten Seite war das blaue Meer, das ihn besänftigte, und er fuhr langsam weiter, bis die Küste unter der Bahnbrücke vor Atlit verschwand. Plötzlich fiel ihm ein, dass er seine Sekretärin bitten musste, auch alle Termine für den nächsten Tag abzusagen, denn ihm war klar, dass er am nächsten Tag noch nicht zurückkehren würde. Dann rief er noch einmal im Altersheim an, um sich zu vergewissern, dass sie für Jaki und Anna ein Zimmer vorbereitet hatten, wie er es mit der stellvertretenden Direktorin vereinbart hatte. Danach versuchte er, Guy zu erreichen, und musste warten, bis sich seine Mailbox einschaltete, dann sagte er:
    »Guy, ich wollte heute Morgen deine Stimme hören, aber das scheint nicht zu klappen. Ruf an, wenn du kannst, ich bin im Norden. Bye, dein Vater.«
    Wieder drückte ihn das schlechte Gewissen, weil er sich nur um Gil kümmerte, der wahrscheinlich irgendwo mit seinem Freund Karl-Heinz eine mehrtägige Wanderung unternahm, der Teufel weiß wo, während sein eigener Sohn an der Grenze zum Gazastreifen 15 sein

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