Schalom
kommen sie?«, fragte Guy verwundert.
»Nein«, sagte er, zögerte, hielt es dann aber nicht mehr aus. »Hast du von dem Busunfall in Galiläa gehört?«, fragte er. Er ließ Guy keine Zeit zu antworten und berichtete ihm von seinen Befürchtungen und was er alles unternommen hatte. Er verschwieg auch nicht den guten Kontakt, den Gil zu seiner Großmutter hatte, und beschrieb, wie aufgeregt sie wegen dieser seltsamen Sache sei.
»Eigentlich gibt es das ganze Durcheinander nur wegen Großmutter«, sagte er, doch ihm wurde sofort klar, dass es nicht stimmte. Jaki und Anna kamen nicht nach Israel, weil ihre Mutter sich wegen Gil Sorgen machte.
Guy sagte nur: »Ah, wirklich?«, und fragte nicht nach weiteren Einzelheiten. Danach schwiegen beide. Was wollte er eigentlich, überlegte Avri, soll sich Guy jetzt wegen Gil verrückt machen? Dafür hatte man ihn nicht nach Hause geschickt.
Schnell konzentrierte er sich wieder auf Guy. »Bis wann hast du Urlaub?«, fragte er.
»Ich weiß es nicht«, sagte Guy. »Ich bekomme morgen einen Anruf.«
Avri zögerte. »Ich glaube nicht, dass ich es heute noch nach Hause schaffe, aber geh nicht weg, ich werde mir große Mühe geben, morgen da zu sein.«
Er wusste, dass das kaum möglich war. Heute würden sie, wenn überhaupt, nur noch die DNA -Proben bei der Polizei abliefern können. Auf einmal packte ihn ein Gefühl der Reue. Guy hoffte bestimmt, ihn zu treffen, deshalb hatte er ihn doch angerufen. Er durfte diese Annäherung nicht verpassen, er musste seinen Sohn treffen. Jaki und Anna brauchten eigentlich keine Hilfe, um sich in der israelischen Realität zurechtzufinden.
»Weißt du was, Guy«, fügte er schnell hinzu, »wenn sie gelandet sind, rufe ich dich an und sage Bescheid, ob ich es vielleicht heute noch schaffe, nach Hause zu kommen.«
Jaki brauchte ihn nicht, um die Proben bei der Polizei abzuliefern, und etwas anderes wäre sowieso nicht mehr drin. Und warum sollte Jaki nicht auch diesen Besuch in Abu Kabir, den er, Avri, schon für ihn vereinbart hatte, nicht allein schaffen? Er würde ihnen ja das Auto überlassen. Dann könnte er selbst nach Eilat fliegen und Guy treffen. Gerade nun, da sie sich solche Sorgen um Gil machten, würden Jaki und Anna seinen Wunsch, sich um Guy zu kümmern, bestimmt verstehen können.
Guy drängte ihn nicht, nach Hause zu kommen, er sagte, es wäre wichtiger, sich erst einmal Gewissheit zu verschaffen, dass Gil nichts passiert war, und dann sagte er noch: »Außerdem kommt dein Bruder ja nicht jeden Tag nach Israel.«
Aber auch diese Worte verstärkten in Avri noch das Gefühl, dass er an seinem Plan, heute noch nach Eilat zurückzukehren, festhalten sollte.
27
Jaki nahm den Blick nicht vom Fenster, er wollte den Moment nicht verpassen, in dem die Küstenlinie über dem Flügel der Maschine auftauchte. Es war noch nicht so weit, doch er spürte schon den Druck in seinen Ohren, als die Maschine an Höhe verlor. Bei seinem letzten Flug hatte er die Küste schon aus größerer Entfernung gesehen, als Lichtstreifen am Horizont, doch nun war helllichter Tag, und obwohl der Himmel wolkenfrei war, schien sich der Raum vor ihm in blauem Dunst aufzulösen. Damals war er zur Beerdigung seines Vaters gekommen, allein, und als der Flugkapitän den Anflug angekündigt hatte, verdunkelte die Crew das Licht, und draußen, zwischen den zuckenden Lichtern am Ende des Flügels, hatte er in der Ferne einen gelben Schein gesehen, der sich beim Näherkommen zu einer langen Linie flimmernder Lichtpunkte verwandelt hatte. Heute hingegen sah er nur, wie sich das Blau des Himmels mit dem Blau des Meers vereinte.
Als er zur Beerdigung seines Vaters gekommen war, wusste er genau, was ihn erwartete. Dass er seiner Mutter begegnen würde und an ihrer Trauer teilnehmen. Trotz des schweren Bruchs würde er vorübergehend wieder ein Teil der Familie werden. Damals konnte er Anna nicht teilhaben lassen. Jetzt war sie bei ihm, und während seine Augen im blauen Dunst versanken und auf den Anblick der Küste warteten, wärmte ihre weiche Hand seinen Nacken und er spürte an seinem Gesicht die Haut ihrer Wange. Da wusste er, dass auch sie auf den Anblick der Küste wartete, als würde Gil dort schon am Strand stehen und ihnen zuwinken, um sie zu beruhigen. Doch er wusste, dass nur Avri sie in Empfang nehmen würde. Diese Gedanken verübelte er sich. Was hieß da »nur Avri«? Sein Bruder hätte nicht von Eilat nach Tel Aviv kommen müssen, nur um für ihre
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