Schalom
Leben riskierte und sich mit einer Nachricht auf dem Anrufbeantworter zufriedengeben musste.
Vicky wusste nicht mehr als er. Guy hatte seit gestern auch bei ihr nicht mehr angerufen. Sie versprach, ihm gleich Bescheid zu sagen, wenn er sich meldete. Ja, auch sie hatte ihm auf die Mailbox gesprochen.
Hinter Atlit tauchte rechts wieder das Meer auf, und jetzt erstreckte es sich hinter dem Grünstreifen, aus dem einige Palmen ragten, bis zum Horizont. Aus irgendeinem Grund kamen ihm immer wieder die letzten Worte des seltsamen Nachbarn in den Sinn. Was hatte er ihm eigentlich sagen wollen? Doch dann schüttelte er den Kopf: Gab es denn nichts Wichtigeres, woran er zu denken hatte, während er auf dem Weg war, um Jaki und Anna abzuholen?
Er hatte keine Ahnung, welche DNA -Proben sie mitbringen würden. Man hatte ihm mitgeteilt, sie könnten sie noch heute bei der Polizei abgeben. Aber nach Abu Kabir würden sie es heute nicht mehr schaffen, und vielleicht würde es ihm gelingen, sie zu überzeugen, auf das zweifelhafte Vergnügen der Identifikation zu verzichten und das Ergebnis der Untersuchung abzuwarten. Der Anblick der tiefgefrorenen, verbrannten Leiche wäre schlimm genug, auch wenn sie sofort feststellten würden, dass es sich auf keinen Fall um Gil handelte. Und noch viel schlimmer wäre es, wenn sie, Gott behüte, sich nicht sicher wären.
Gerade als er auf die Auffahrt zur Stadtautobahn in Tel Aviv fuhr und sehr auf den Verkehr aufpassen musste, klingelte sein Telefon. Er ließ sich Zeit, wollte sich erst in die richtige Spur einfädeln, doch da brach das Klingeln auch schon ab.
Wer konnte das gewesen sein? Seine Mutter rief ihn nicht auf dem Handy an, außerdem zog sie es vor, dass er bei ihr anrief. Und Vicky hätte gewartet, bis er drangegangen wäre, sie hätte nicht so schnell aufgegeben. Mit seiner Sekretärin hatte er gerade erst gesprochen und dankbar gespürt, wie viel Verständnis sie für seine Lage aufbrachte. Sie würde ihn jetzt nicht mit irgendetwas Nebensächlichem behelligen.
Und was, wenn es Guy war? Er hatte ihn doch um einen Rückruf gebeten. Und als er endlich zurückrufen wollte, war sein Vater gerade damit beschäftigt, sich in den Verkehr einzufädeln. Wieder quälte ihn sein Gewissen. Doch dann klingelte das Telefon erneut. Diesmal nahm er schnell ab und freute sich sehr, als er Guys Stimme hörte.
»Vater?«
»Ja, Guy, ja«, antwortete Avri schnell. »Hast du mich vor ein paar Minuten schon einmal angerufen?«
»Ja, Vater, ich wollte dir nur sagen, dass ich nach Hause komme, genau genommen bin ich schon unterwegs.«
»Wunderbar!«, rief Avri. »Wann wirst du da sein?« Doch sofort wurde seine Freude gedämpft.
Er war im Norden, und wenn Guy nur einen Kurzurlaub hatte, würde er es nicht schaffen, ihn zu sehen, geschweige denn, dass es zu einem ernsthaften Gespräch kommen könnte. Vielleicht hatte er ja nur dafür einen außerplanmäßigen Urlaub bekommen. Vermutlich gab es bei seiner Einheit jemanden, der erkannt hatte, wie wichtig es war, Guy nach Hause zu schicken, damit er den Trennungsschmerz überwinden und neue Kräfte sammeln konnte.
»Oh weh«, rutschte es ihm heraus, und Guy fragte, was passiert sei. Er schwieg. Er wollte ihn nicht mit einem weiteren Problem belasten. Außer dass Vicky und er zweimal mit den Kindern bei Anna und Jaki in München waren, gab es keine besondere Verbindung zwischen ihnen. Sollte es zwischen ihnen eine größere Nähe gegeben haben, hatte er es jedenfalls nicht bemerkt.
»Vater?«, drang Guys Stimme aus der Freisprechanlage.
»Ja, ja«, antwortete er schnell.
»Warum hast du ›Oh weh‹ gesagt?«
»Das Problem ist, dass ich im Norden bin.« Dann, als hätte er eine plötzliche Lösung gefunden, fragte er schnell: »Hast du schon mit Mutter gesprochen?«
Vicky hätte genau gewusst, wie viel man ihm sagen sollte. Vielleicht hatte sie ihm schon alles erzählt und er wusste, dass Avri im Norden war?
Nein! Er hatte nicht mit Vicky gesprochen, und Avri begriff, dass er keine andere Wahl hatte, als ihm alles zu erzählen.
»Jaki und Anna kommen«, sagte er. »Ich bin auf dem Weg zum Flughafen, um sie abzuholen.«
»Ach, wirklich?«, sagte Guy. Er fragte nicht einmal, warum sie so plötzlich kamen. Wäre ihr Besuch geplant gewesen, hätte er das doch früher erfahren. Obwohl es eigentlich ganz natürlich war, dass sie Gil besuchten.
»Gil ist auf einem Ausflug und hat sich seit ein paar Tagen nicht mehr gemeldet.«
»Und nur deshalb
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