Schalom
kein Wort.
Avri sagte, den Namen von Anna betonend: »Jaki und Anna sind mit mir im Auto. Wir sind auf dem Weg zur Polizei.«
»Ach so«, sagte die Mutter, und Jaki fragte sich, ob sie begriff, dass er mithörte, oder ob sie annahm, mit Avri allein zu sprechen. Trotzdem mischte er sich nicht in das Gespräch.
»Und was ist mit Gil?«, fragte sie, und ihm schien, dass ihre Stimme zitterte.
»Es gibt nichts Neues, Mutter, wir waren doch noch nicht …«
»Gut, gut«, unterbrach sie ihn und beendete rasch das Gespräch.
Jaki hatte die Anspannung in ihrer Stimme sehr wohl bemerkt, wusste aber nicht, was sie mehr beeinflusste, die Sorge um Gil oder das Wissen, dass Jaki im Auto saß und sie nicht einmal begrüßte.
Vielleicht war Gils Verschwinden nur ein Trick seines Sohns, um seine Eltern zu zwingen, die »neue Großmutter«, wie er sie nannte, zu treffen? Diese Vorstellung brachte ihn fast zum Lächeln. Ich würde es mir wünschen!, dachte er. Falls Gil hier irgendwo auf sie lauerte und nur darauf wartete, dass sie der Großmutter näherkamen, würde er sofort mit Anna zu ihr eilen.
Avri sagte: »Ich möchte mich in die Angelegenheiten zwischen dir und Mutter nicht einmischen, aber du hast doch schon mit ihr telefoniert. Warum konntest du ihr nicht Guten Tag sagen, oder zumindest, dass ihr gut gelandet seid?«
Jaki schwieg und schaute nach vorne. Er kannte die neuen Straßen nicht, hatte aber keinen Zweifel, dass Avri richtig fuhr.
»Was für tolle Straßen«, sagte er.
Avri sagte: »Okay, ich hab es verstanden.«
Jaki schwieg, drehte sich aber nicht zu Anna um, er war sicher, dass sie auf seiner Seite stand, obwohl auch sie den Vorwurf in Avris Stimme wahrgenommen haben musste.
Das Auto fädelte sich in den starken Verkehr von Jerusalem nach Tel Aviv ein. Avri blinkte, warf einen Blick in den linken Spiegel und wechselte die Spur. Auch als Jaki Annas Hand auf seiner Schulter spürte, drehte er sich nicht zu ihr um und sagte auch nichts.
Lange Zeit fuhren sie schweigend, nur das Rauschen der überholenden Autos war zu hören.
Endlich sagte Avri: »Ich schlage vor, dass wir zuerst zum Altersheim fahren. Auch wenn ihr euch entscheidet, mit mir nach Eilat zu kommen, könnt ihr einen Teil des Gepäcks schon da lassen.«
Anna sagte, sie hätten nicht gewagt, die Proben in den Koffer zu packen, denn manchmal würde das Gepäck ja um die ganze Welt fliegen, bevor es seine Besitzer erreichte. Deshalb müsste man die Koffer nicht öffnen.
Avri antwortete etwas, aber Jaki hörte nicht zu. Er dachte daran, wie sie zu Hause in München Gils Zimmer durchsucht hatten.
Sie hatten nur einen alten Kamm mit ein paar Haaren gefunden. Der Zahnarzt hatte ihnen die Röntgenaufnahmen von Gils Zähnen und die Abgüsse seiner Kiefer gegeben. »Falls die Kiefer noch vorhanden sind«, hatte er gesagt und Jaki damit erschreckt.
Auch jetzt, als er sich daran erinnerte, lief ihm ein Schauer über den Rücken.
Der Zahnarzt hatte ihnen versichert, dass die DNA -Proben überflüssig seien, wenn die Zähne erhalten waren, sodass man eine Identifizierung bestätigen oder widerlegen konnte.
Sie fuhren auf eine riesige Straßenbrücke zu, die Jaki nicht kannte, und er versuchte herauszufinden, wo sie sich befanden. Er vermutete, dass sie jetzt die frühere Gehastraße überquerten.
Er wandte sich an Avri: »Ist das die Gehastraße?«
Avri warf ihm einen anerkennenden Blick zu, bevor er bestätigte, dass sie jetzt über der Gehastraße fuhren und gleich in die Nachal-Ayalon-Straße einbogen, dann sagte er zu Anna:
»Wenn das so ist, dann entschuldigt mich, ich muss es Vicky mitteilen.«
Jaki begriff, dass er einen Teil der Konversation zwischen Anna und Avri verpasst hatte. Doch er erkundigte sich nicht, was sein Bruder seiner Frau mitteilen musste, er wartete schweigend ab, was Avri sagen würde.
Es klingelte lange.
»Vicky geht nie sofort ans Telefon«, sagte Avri entschuldigend.
»Es brennt ja nichts an«, sagte Anna.
Jaki schwieg und wartete.
28
Oh weh, Jaki saß also in Avris Auto mit der da. Und er hatte ihre dummen Fragen gehört, ohne ein Wort zu sagen, nicht einmal »Schalom« hatte er zu seiner Mutter gesagt. Aber sie hat ihn ja auch nicht begrüßt. Was war das für eine Mutter, die ihrem Sohn, der nach so langer Zeit im Ausland einmal zu Besuch kam, nicht »Schalom« sagen konnte?
Er hatte zugehört und geschwiegen. Glaubten sie etwa, sie wüsste nicht, dass man alles mithören konnte, wenn man dieses
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