Schalom
hinter einem Hügel verschwand, durch den die Schienen verlegt worden waren, und dann plötzlich unter ihr wieder zu sehen waren, begriff sie, dass die Schnelligkeit des Zuges der Grund dafür war, warum es so aussah, als würden die Autos langsam fahren. Menachem hätte jetzt bestimmt irgendetwas über optische Täuschungen gesagt …
Plötzlich drang seine Stimme an ihr Ohr. »Stimmt.«
Lange schaute sie den Mann an, der ihr gegenübersaß.
»Was machst du hier?«, fragte sie verwundert.
»Was soll ich schon machen? Wir fahren zu Zila, oder?«
»Menachem, mach keine Späßchen mit mir, denkst du, ich weiß nicht genau, was dich wurmt?«
»Nun, wenn du es weißt, warum fragst du dann?«
Wurde sie verrückt oder leistete sich jemand einen Spaß mit ihr? Menachem gab es nicht mehr, er war tot! Nie hatte sie ihn so deutlich gesehen, seit er tot war, was sollte das jetzt? Sogar als Gil bei ihr zu Hause war und sie das Gefühl hatte, dass auch Menachem an dieser neuen Nähe teilnahm, hatte er sich nicht die Mühe gemacht, deutlicher zu erscheinen, warum ausgerechnet jetzt, da sie zu einem Treffen mit Jaki fuhr?
»Ich möchte Jaki treffen«, sagte sie. »Gefällt dir das nicht?«
»Doch, das ist völlig in Ordnung«, sagte er, und sie hörte sehr gut, was er nicht aussprach.
»Es ist nicht meine Schuld, dass sie mit ihm gekommen ist.«
»Ich habe nicht gesagt, dass du schuld bist.«
»Was willst du dann von mir?«
»Habe ich gesagt, dass ich etwas will?«
»Menachem, hör auf mit diesem Unsinn! Wenn du gekommen bist, um mich zu dir zu holen, dann sag’s einfach. Du weißt sehr gut, dass ich schon lange auf dich warte, und du kommst nicht. Vielleicht hast du dort eine andere gefunden? Nein, ich weiß, dass es nicht stimmt. Aber ich kenne dich doch, du bist nicht deshalb gekommen. Sag mir klipp und klar, was du willst. Du kommst doch nicht einfach so.«
Er schüttelte sich plötzlich und schaute sie lange an.
»Ist bei Ihnen alles in Ordnung, gnädige Frau?«, sagte er und stand auf.
»Wieso sagst du ›gnädige Frau‹ zu mir?«, fuhr sie ihn böse an. »Für dich bin ich Nechama, hörst du, Menachem? Nur Nechama.«
Er setzte sich wieder hin und sagte: »Wie kommen Sie auf Menachem?«
Und plötzlich sah sie, dass der Soldat, der ihr gegenübersaß, sie mit großen Augen anstarrte.
»Entschuldigung!«, sagte sie verlegen, ohne den Blick zu senken. »Ich glaube, ich habe geträumt.«
Sie hörte die Antwort des Soldaten nicht, ließ aber den Blick nicht von ihm und fragte sich, ob es Menachem war, der sich einen Scherz mit ihr erlaubt hatte, oder ob sie langsam durchdrehte.
32
Die Frau, die sie empfangen hatte, trug eine Uniform, aber Jaki konnte sie aus irgendeinem Grund nicht als Polizistin wahrnehmen, vielleicht weil sie Hebräisch sprach und diese Sprache für ihn mit Heimat und nicht mit Polizei verbunden war, oder auch wegen des Feingefühls, das sie zeigte. Auf dem Flug nach Israel hatte Anna ihn vor diesem Termin gewarnt.
»Für diese Menschen sind solche Fälle so normal wie für uns das Frühstück. Für sie ist Gil nur einer von vielen.«
Anna hatte befürchtet, er könne die Stumpfheit dieser Leute nicht ertragen, für die die Angst von Eltern, denen sie die sterblichen Reste ihrer Kinder präsentierten, etwas ganz Alltägliches war. Als sie die Zahnarztpraxis verlassen hatten, hatte Anna ihm den Abdruck des Gebisses nicht zeigen wollen, den der Zahnarzt ihr gegeben hatte. Auch er hatte sich davor gefürchtet, aber darauf bestanden, ihn zu sehen. Es ging um seinen Sohn, und wenn, Gott behüte … Als er sich jetzt daran erinnerte, kämpfte er gegen die Tränen. Nun mussten sie diesen Abdruck abgeben. Ein Schauer überlief ihn, als er sah, wie Anna die Hand in die Tasche schob. Er wusste genau, was ihre Finger berührten.
Aber nichts von dem, worauf sie sich im Flieger vorbereitet hatten, passte zum Verhalten dieser Polizeioffizierin, die sie in Empfang nahm. Gerade weil sie erfahren war mit Eltern, die um ihre Kinder bangten, konnte sie ihre Angst verringern. Sie erklärte ausführlich die Schwierigkeiten bei einer Identifizierung, und obwohl er nicht genau wusste, warum, spürte er, wie die Bedrohung verblasste. Es war ihm nicht entgangen, dass sie genaue Schilderungen vermied und versuchte, alles hervorzuheben, was eine Verbindung zwischen dem Toten und Gil unwahrscheinlich machte, er hätte ihr immer weiter zuhören können. Er staunte über die große Erfahrung, die diese Frau
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