Schalom
Nur ganz selten. Aber sie wusste, dass sie das nicht beurteilen konnte. Als sie selbst in diesem Alter war, hatte sie keine Eltern und keine Großeltern mehr. Sie waren alle dort geblieben, bei den Deutschen, ausgelöscht sei ihr Name.
Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sich der Zug in Bewegung gesetzt hatte, doch plötzlich tauchte die Seilbahn vor ihr auf, da, wo früher der kleine Fischerstrand gewesen war, wohin sie mit den Kindern an Wochentagen zum Baden gefahren war. Nur samstags, wenn Menachem dabei war, fuhren sie mit dem Bus der Linie 43 zum Kaja-Strand, der heute Dado-Zamir-Strand hieß. Der Zug fuhr an der Küstenkirche am Wadi Gamal vorbei, an Ein Hayam, und ihre Augen verschlangen das große Blau, das sich bis zum Horizont erstreckte. Und plötzlich war da dieser Betonklotz, gegenüber den Kiosken, an denen Menachem früher seine Zigaretten gekauft hatte, bevor sie nach Hause fuhren.
Vom damaligen Kaja-Strand war nichts mehr übrig – die nassen Tamarisken am Ende der Dünen, die Betonwege voller Sand, die zu den Umkleidekabinen führten. Avri hatte dort Jaki einmal in eine Kabine geschoben, mit dem Auftrag, herauszufinden, ob auch Frauen in der Mitte des Bauchs einen Nabel hatten. All das war verschwunden, zertreten von den Füßen dieses schwarzen Betonklotzes, in dem ein rechteckiges Loch gerissen war. Sogar die Frage nach dem Nabel hatte die Mode einfach hinweggewischt.
Wo waren die Eisenbahnschienen, die sie auf dem Weg zum Strand überqueren mussten? Konnte es sein, dass man auf den alten Schienen ein Hotel gebaut hatte? Der Zug verlangsamte seine Fahrt vor der Einfahrt in den Bahnhof Ha-Carmel, und sie konnte noch einen letzten Blick auf das sich entfernende Hotel erhaschen und sich den Verlauf der Eisenbahnschienen vorstellen, als sie plötzlich begriff, dass sie ja in dem Zug saß, der auf den Schienen fuhr, die sie gesucht hatte.
In ihrem Kopf hallte noch die Stimme jener Frau nach: »Lasst sie selbst entscheiden.« Sie konnte sich vorstellen, wer diese Frau war, Jaki hatte ja gesagt, dass die da mit ihnen im Auto saß. Menachem hatte gesagt, dass keine Deutsche jemals den Fuß in ihre Wohnung setzen würde, und auch jetzt war sie nicht bereit, sich darüber hinwegzusetzen. Aber Jaki lebte nun mal schon seit Jahren mit dieser Frau zusammen. Sie würde sie nicht nach Hause einladen, aber es war kein Wortbruch, wenn sie und die da Zila zur gleichen Zeit besuchten. Sie musste ja nicht mit ihr sprechen. Sie musste sie nicht einmal anschauen. Höchstens ein schneller Blick, um zu sehen, mit wem Jaki lebte, wer die Person war, die ihn dazu gebracht hatte, sich von seiner Familie zu trennen, und was noch wichtiger war, die Gil geboren und erzogen hatte.
Was für ein Glück, dass Gil noch vor Menachems Tod geboren wurde, sonst hätten sie ihn vielleicht Menachem genannt und das wäre noch verwirrender gewesen. Wie dem auch sei, die da war Gils Mutter, bestimmt war sie ganz verrückt vor Sorge. Wenn, Gott behüte, Avri oder Jaki etwas zugestoßen wäre, wäre sie auch verrückt geworden. Mit denen dort musste man kein Mitleid haben, aber ein hartes Herz brauchte man auch nicht zu haben.
Die da wusste, was Menachem gesagt hatte, und die Tatsache, dass sie die ganzen Jahre nicht mal den kleinsten Versuch unternommen hatte, sich ihr aufzudrängen, weder heimlich noch offen, zeugte davon, dass sie nichts von ihr erwartete.
Niemand verstand, warum sie und Menachem der Auserwählten ihres Sohnes die Tür vor der Nase zuschlagen konnten, und in der Tat, wie konnte man das verstehen? Doch auch wenn sie es nicht begriffen, hatten sie es alle akzeptiert. Nur Jaki nicht! Sogar Gil akzeptierte es, und er war der Einzige, der vielleicht auch verstand, warum sie es getan hatten. Nur Gil wäre in der Lage, es Jaki irgendwann einmal zu erklären. Aber jetzt … Großer Gott … Man durfte nicht darüber nachdenken.
Der Soldat ihr gegenüber schüttelte sich plötzlich, als der Zug den Bahnhof verließ und wieder schneller fuhr. Er starrte verblüfft durch das Fenster, dann kontrollierte er, ob sein Rucksack noch da lag, wo er ihn abgeworfen hatte, und schloss sofort wieder die Augen.
Hätten sie damals Jakis Wahl akzeptiert, wäre Gil heute vielleicht ein israelischer Soldat, und dann wäre die Angst, die sie jetzt erlebten, das tägliche Brot von der da .
Warum fuhren die Autos auf der Küstenstraße so langsam? Wenn das ein Stau wäre, dann würden sie dichter hintereinanderfahren. Erst als die Straße
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