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Schalom

Titel: Schalom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Stufen spürte er einen Druck im Kreuz. Es war kein Schmerz, aber er kannte dieses Gefühl und wusste schon jetzt, dass er sich heute die ganze Nacht im Bett herumwälzen würde, bei dem verzweifelten Versuch, den Druck im Rücken zu lindern.
    »Professor Salzbad, das ist wirklich nicht nötig«, hörte er sie sagen.
    Natürlich konnte er jetzt nicht mehr zurück, und wegen der Anstrengung konnte er ihr nicht antworten. Deshalb drehte er sich nicht um, sondern ging langsam weiter, einen Schritt nach dem anderen, und hielt sich mit der linken Hand am Geländer fest, bis er auf dem Treppenabsatz war. Er stellte den Koffer hin und tat, als habe er sich nur zu ihr umdrehen wollen.
    »Ich bin zwar kein Junge mehr«, sagte er, »aber das schaffe ich noch.«
    »Das ist es ja gerade«, sagte sie, an das Geländer gelehnt, »ich schaffe es auch.«
    Er wechselte umständlich die Hand, die den Koffer trug, und ging weiter die Treppe hinunter. Ironie des Schicksals! Als er im Supermarkt die Weinflaschen im Sonderangebot gekauft hatte, hatte ihm ihr Enkel die Anstrengung des Tragens erspart. Dafür war er jetzt wohl gezwungen, ihren Koffer zu schleppen.
    Als er den Koffer endlich auf dem Bürgersteig abstellte, sagte er: »Wissen Sie, dass Ihr Enkel für mich schwere Flaschen getragen hat?«
    Sie nickte und bedankte sich noch nicht einmal bei ihm, sie sagte nur: »Das hätten Sie nicht zu tun brauchen.«
    Er deutete auf den Koffer und sagte: »Wenn er hier wäre, wäre alles leichter.«
    Sie sah ihn nicht an und sagte auch nichts, dennoch hatte er das Gefühl, sie mit seiner Bemerkung in Aufregung versetzt zu haben.
    Das Lob ihres Enkels hatte ihr vermutlich sehr geschmeichelt, denn ihre Augen glänzten, und er beeilte sich hinzuzufügen: »Er hätte Ihnen mit dem Koffer helfen können.«
    Plötzlich schaute sie ihn an, wütend und mit Tränen in den Augen.
    »Woher haben Sie bloß das Talent, im unpassendsten Moment die schmerzhaftesten Dinge zu sagen?«
    Nach diesen Worten drehte sie sich um und ließ ihn einfach stehen. Den Koffer hinter sich herziehend, ging sie zum Taxi, das auf sie wartete.
    Auch nachdem sie eingestiegen war, blieb er wie angewurzelt stehen und sah zu, wie der Taxifahrer die Klappe des Kofferraums schloss, sich ans Steuer setzte und losfuhr.

31
    Warum fuhr der Taxifahrer nach der Ampel am Gesundheitszentrum die Rothschild-Allee hinunter? Menachem war immer durch die Hamaginim-Allee gefahren. Und wenn Menachem so gefahren war, dann musste es der richtige Weg sein. Als sie sich der nächsten Ampel näherten und er nicht auf die rechte Spur wechselte, um die Ausfahrt zu nehmen, verstand sie, dass er nicht zum alten Bahnhof fuhr. Warum sollte er auch? Der neue Bahnhof in Bat Galim war viel näher. Der »neue« Bahnhof war nun auch schon seit zwanzig Jahren in Betrieb, aber sie hatte noch keinen Fuß dort hineingesetzt.
    Sie war auch früher nicht gerne Zug gefahren. Allein das Wort »Zug« hatte Unruhe in ihr geweckt. Seit dem Tag, an dem Menachem eingeladen worden war, anlässlich einer Zeremonie eine Fackel anzuzünden, war sie nicht mehr mit dem Zug gefahren. An das Bagel, das er ihr am Jerusalemer Bahnhof gekauft hatte, erinnerte sie sich noch genau, auch daran, dass Menachem sie kurz vor Haifa geweckt hatte und sie ausnahmsweise mit einem Taxi vom Plumerplatz nach Hause gefahren waren.
    Das Erste, was ihr jetzt im Zug auffiel, waren die gepolsterten Sitze. Hatte sie etwa erwartet, dass heute noch Züge mit Holzbänken fahren würden?
    Der Wagen war nicht leer, aber sie setzte sich auf einen freien Sitz am Fenster, mit dem Rücken zur Fahrtrichtung, das würde ihr erlauben, hatte sie sich überlegt, das Meer zu sehen, sobald der Zug an der Elijahu-Grotte vorbeigefahren wäre, unter Stella Maris. Der Sitz ihr gegenüber war frei, aber es dauerte nicht lange, da kam ein junger Soldat, nahm seinen Rucksack ab und setzte sich hastig, als habe er noch etwas zu erledigen, ihr gegenüber, lehnte den Kopf nach hinten, schloss die Augen, schlief sofort ein und rührte sich nicht mehr.
    Verhielt sich ihr Enkel Guy auch so? Warum ließ man die jungen Leute nicht genug schlafen? In diesem Alter brauchte der Körper viel Schlaf. Sie hatte Guy schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Er rief sie nicht an und schrieb auch nicht. Schon gut, was verlangte sie von ihm? Hier, dieser müde Soldat zum Beispiel. Konnte man von ihm erwarten, ständig an seine alte Großmutter zu denken?
    Aber was hieß da ständig? Ab und zu!

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