Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Titel: Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina André
Vom Netzwerk:
Wie sollte ich das vergessen?«
    Aslan schluckte. Ihn beschämte die Dankbarkeit, die Leonard ihm seit jenen Tagen entgegenbrachte, und die Tatsache, dass sich der deutsche Kamerad an alles genau erinnern konnte, was ihm während der Bewusstlosigkeit widerfahren war, ließ ihn erschauern.
    »Du warst so gut wie tot«, sagte der Turkmene. »Ich hätte das auch für jeden anderen getan.«
    »Vielleicht war ich wirklich tot, und niemand hat es bemerkt«, erwiderte Leonard, und dabei erinnerte er sich an die plötzliche Anwesenheit des Schamanen und seiner mysteriösen Helfer. Bisher hatte er niemandem erzählt, wie sie seinen Körper zerschnitten und wieder zusammengesetzt hatten. Es war zu gespenstisch. Wie hätten die anderen ihm glauben sollen?
    »Der alte Wassiljoff hatte nicht soviel Glück«, bemerkte er dunkel. »Er ist drei Tage nach meiner Rettung gestorben. Manchmal kann ich sein Gesicht im Schlaf sehen. Dann lächelt er und winkt mir zu. Es ist, als ob man ihn von allen Leiden erlöst hätte. Es gibt Tage, da beneide ich ihn um die Freiheit, die er offensichtlich erlangt hat.«
    |272| »Leonard, was redest du da?« Aslan zog gierig an seiner Zigarette. Ein Glimmen, und dann fiel die Asche zu Boden. »Sag bloß, du wolltest ihm folgen?«
    »Manchmal.« Leonard schaute gegen die obere Bretterwand, wo sich Licht und Schatten vereinten. »Manchmal denke ich darüber nach, wie anders mein Leben verlaufen wäre, wenn ich mit Katja an jenem verdammten Sonntag im Bett geblieben wäre, anstatt zu dieser verteufelten Kundgebung zu gehen.«
    »Du vermisst sie sehr, nicht wahr? Obwohl ihr euch nicht versprochen wart.«
    Leonard wandte sich Aslan erneut zu und lächelte schwach. »Es ist Liebe, Aslan. Das hat nichts mit Versprechungen zu tun. Ich würde meine rechte Hand dafür geben, wenn sie und das Kind endlich bei mir sein könnten. Schon alleine deshalb würde ich nie auf eine solche Idee kommen, meinem Leben einfach ein Ende zu bereiten – nicht solange es noch einen Sinn hat.«
    »Ich habe mich oft gefragt, worin der Sinn des Lebens besteht, aber eine Antwort, Allah möge mir verzeihen, habe ich nicht gefunden.«
    »Irgendeinen Grund wird unser Dasein schon haben. Ich habe am eigenen Leib erfahren, dass alle physikalischen Berechnungen nur eine Farce sind und etwas völlig anderes hinter der Welt steckt, als man allgemein vermuten würde, etwas, das sich nicht mit mathematischen Formeln ausdrücken lässt.«
    »Vielleicht hat Allah mit Hilfe von Tschutschana ein Wunder vollbracht. Und Wunder lassen sich nun mal nicht wissenschaftlich erklären.«
    »Das sagt ausgerechnet ein Physiker deines Kalibers?« Leonard lachte leise.
    »Ein gläubiger Physiker«, ergänzte Aslan.
    »Du hast mir nie den wahren Grund deiner Deportation verraten.« Leonard erkannte die Gunst der Stunde, tiefer in Aslans Gemüt eindringen zu können als je zuvor.
    Der Turkmene sah ihn nachdenklich an, als zögerte er einen Moment, doch dann entspannte sich seine Miene, und er setzte zu einer Antwort an.
    »Meine Familie zählt sich zu den Dschadiden. Wir sind strenggläubige |273| Muslime. Trotzdem oder gerade deshalb verfolgen wir eine rationalistische Interpretation der religiösen Schriften. Schon unsere Vorväter waren fasziniert vom Fortschritt und der Technologie, was nicht dagegen spricht, sein Volk auf den Pfad des Islams zu führen.«
    »Seid ihr deshalb verfolgt worden? Deine Familie und du?«
    »Mein Bruder war der Meinung, die Bolschewiki würden auch uns eine bessere Zukunft versprechen. Er organisierte Protestkundgebungen gegen den russischen Imperialismus, wie er es nannte. Es kam zu Unruhen. Menschen starben im Kugelhagel der Milizen. Er wollte, dass ich ihm helfe, eine Bombe zu bauen, um damit die gesamte Kommandatur von Aşgabat in die Luft zu sprengen.«
    Mit einem Ruck hob Leonard seinen Kopf und sah ihn gebannt an.
    »Und habt ihr es getan?«
    »Nicht wir. Ich habe nur die Pläne geliefert. Mein Bruder und seine Kommilitonen wurden in einem geheimen Keller erwischt, während sie sich an den Nachbau gemacht hatten. Ich hatte gleich kein gutes Gefühl bei der Sache. Unter den Studenten gab es etliche Spione, die für ein paar Rubelchen sogar ihre eigene Großmutter verkauft hätten.«
    »Und was ist dann geschehen?«
    »Man hat sie als Terroristen und Kollaborateure abgeurteilt und aufgehängt. Noch am gleichen Tag. An einer riesigen Linde mitten in der Stadt. Ein einziger dicker Ast, der sich unter der Last von sechs

Weitere Kostenlose Bücher