Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
konnte.
Fünfzig Meter vor Leonids Hütte begann Ajaci leise zu knurren. Gleichzeitig stellte sich das lange Fell in seinem Nacken auf. Leonid blieb abrupt stehen und zog sich mit seinem Hund hinter einen Busch zurück. Lauernd, einen Arm um Ajacis Körper geschlungen, beobachtete er den Eingang seines Hauses. Die Tür stand offen. Nach allem, was er in den letzten Tagen gesehen und gehört hatte, war es gut möglich, dass sich Lebenovs Männer endlich den Kimchu hinaufgewagt hatten, um nach ihm zu suchen. Vielleicht war es sogar Viktoria selbst gewesen, die aus lauter Verzweiflung seine Existenz preisgegeben hatte, nur um ihn aus dem Bunker zu befreien.
Doch außer dem Plätschern des Baches waren allein der Regen zu hören und das ferne Grollen des Donners. Vielleicht war es nur ein Bär, der nach Nahrung suchte. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass ein solches Tier vor seiner Haustür auftauchte. Obwohl es zu dieser Jahreszeit genug in den Wäldern und Flüssen zu fressen gab, wurden Bären manchmal durch die Fische angelockt, die Leonid zum Räuchern aufhängte.
Langsam stand er auf und legte dabei eine Hand an sein Jagdmesser. Die Klinge war stets geschärft und so lang wie sein halber Unterarm.
Vorsichtig, einen Fuß vor den anderen setzend, näherte er sich dem Eingang. Ajaci folgte ihm zögernd, die Ohren immer noch angelegt und die Zähne gebleckt.
Leonid hielt das Messer fest in der Hand, während er sich mit dem Rücken zur Wand zum Eingang vorarbeitete. Mit der Linken strich er sich eine feuchte Strähne aus dem Gesicht, bevor er vorsichtig um die |318| Ecke spähte. Plötzlich vernahm er ein merkwürdiges Geräusch – ein leises, abgehacktes Wimmern. Mit einem Ruck wirbelte er herum und warf einen raschen Blick in das einzige Zimmer.
Viktoria saß auf seinem Bett und hielt den Kopf in beide Hände gestützt. Ihr brünettes Haar fiel über ihr Gesicht, und ihre Schultern zuckten. Sie war völlig durchnässt und schien ihn überhaupt nicht zu bemerken.
»Viktoria? Was machst du hier?«
Sie hob den Kopf und sah ihn überrascht an. Ihr Gesicht war voller Tränen und verriet ihre Erschöpfung.
»Das Gleiche könnte ich dich fragen«, stieß sie anklagend hervor. »Wie kommt es, dass du hier bist und nicht da unten, wo ich dich zurückgelassen habe?«
Ajaci knurrte leise, als Leonid sich neben sie setzte und fest an sich drückte.
»Es tut mir leid.« Er küsste sie auf die Stirn. »Sag bloß, du bist ganz allein zurückgekommen, um mich zu befreien?«
»Nicht ganz«, murmelte sie, abgelenkt von seinen Küssen, mit denen er ihre Wangen bedeckte.
»Hast du etwa deinen russischen Begleiter mitgebracht?« Leonid hielt inne und schaute alarmiert auf.
»Kolja?« Viktoria schüttelte den Kopf. »Wo denkst du hin? Theisen meint, er arbeitet für den FSB. Allerdings wissen anscheinend noch nicht einmal Lebenov und Bashtiri etwas davon. Trotzdem kann ich nicht einschätzen, auf wessen Seite er steht. Das war auch der Grund, warum ich ihm nichts von dir erzählen wollte und warum er das Erdloch so sorgfältig verschlossen hat.«
Leonid nickte und wirkte für einen Moment abwesend, als ob er Viktorias Aussage erst einmal für sich durchdenken musste. Dann schaute er sie unvermittelt an und lächelte.
»Mein Onkel hat mich gefunden«, flüsterte er, »nachdem Ajaci ihn zum Bunkereingang geleitet hatte.«
»Ich bin froh, dass es dir gutgeht. Aber wir können uns hier nicht aufhalten«, bemerkte sie mit einem leicht gehetzten Blick. »Es gibt da ein Problem. Ich musste meinen deutschen Kollegen, Sven Theisen, um Hilfe bitten, weil ich sichergehen wollte, dass ich dich ohne Probleme |319| dort unten herausholen konnte, dabei ist er im Innern des Bunkers verunglückt. Wegen der ganzen Ungereimtheiten konnte ich nicht einfach zum Lager zurückgehen und Hilfe holen. Außerdem lag deine Hütte viel näher, und ich hatte gehofft, hier wenigstens irgendjemanden zu finden, der uns hilft. Sven liegt in einem uralten Treppenschacht. Allein kann ich ihn nicht bergen.«
Leonid ließ von ihr ab und erhob sich rasch. »Warum sagst du das nicht gleich? Worauf warten wir noch?«
Viktoria warf einen Blick auf den Hund, der immer noch leise knurrte. »Er ist wütend auf mich.«
»Ajaci?« Leonid hob eine Braue. »Warum?«
»Weil Kolja in meinem Beisein auf ihn geschossen hat. Ich konnte nichts dafür.«
»Ich werde es ihm erklären.« Leonid lächelte sie an und küsste sie abermals.
Nachdem ihm Viktoria die
Weitere Kostenlose Bücher