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Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Titel: Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina André
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Schein nach bezog Viktoria ihr spartanisch eingerichtetes Zimmer, doch kaum waren die anderen Gäste und das Personal des Hauses zu Bett gegangen, öffnete sie das im Parterre liegende Fenster und stieg hinaus auf die menschenleere Straße. Es musste kurz vor Mitternacht sein, als sie sich mit einer Kapuzenjacke bekleidet in die Ortsmitte von Vanavara aufmachte, um nach einem Taxi Ausschau zu halten. Gott sei Dank regnete es ausnahmsweise einmal nicht, so dass die Straßen halbwegs trocken waren. Im spärlichen Licht einer Straßenlaterne blieb sie stehen, um sich zu orientieren. Ihrem Plan nach wollte sie Leonids Großeltern aufsuchen und ihnen von der Gefangennahme ihres Enkels berichten. Nur sie konnten noch etwas unternehmen, um Leonids Leben zu retten. Vielleicht war es möglich, dass der Großvater seinen Stamm zur Hilfe rief und man einen Protestmarsch ins Camp organisierte. Lebenov würde nicht so irrsinnig sein und allesamt über den Haufen schießen.
    Bei einer Kneipe machte sie Halt. Der Gastraum war von Zigarettenqualm ganz vernebelt, und überall saßen betrunkene Männer, die bei ihrem Anblick in reine Verzückung gerieten. Immer wieder musste sie Hände und Arme abwehren, bis sie sich zu einer chromblitzenden Bar einen Weg gebahnt hatte. Ein paar laszive Schönheiten im hautengen Tigerlook beäugten Viktoria argwöhnisch, und auf ihre Frage nach einem Taxi erntete sie nur Gelächter. Wer hätte hier noch fahren sollen? Und wohin? Der nächste Ort lag kilometerweit entfernt, und eine Busverbindung gab es zu dieser Zeit nicht mehr, wie sie schließlich von einem halbwegs nüchternen Lkw-Fahrer erfuhr. Mit einem unsympathischen Grinsen bot er ihr an, sie mitzunehmen, doch eine innere Stimme riet ihr, lieber zu Fuß zu gehen, als solch ein Angebot anzunehmen.
    Unverrichteter Dinge stolperte sie aus dem zweifelhaften Etablissement heraus und stand erneut auf der Straße, versehen mit dem vagen Hinweis, wie sie in das Dorf der Ewenken gelangen konnte. Ein Marsch durch den Wald, drei Kilometer bei absoluter Finsternis. Doch was blieb ihr anderes übrig, um Leonids Leben zu retten? Lebenov |355| und seine Mannen erschienen ihr weitaus gefährlicher als ein paar Wölfe und Bären.
    Ein Wind fuhr ihr durchs Haar, und sie fröstelte, als sie den Ortsausgang von Vanavara erreichte. Ihre Taschenlampe hatte sie in der Aufregung vergessen.
    Die Nacht war zum Glück noch hell genug, um den Weg zu erkennen. Im festen Glauben, dass einzig Richtige zu tun, setzte sie einen Fuß vor den anderen. Plötzlich fiel ein Lichtschein zwischen die Bäume, und ein Wagen näherte sich ihr von hinten. Viktoria sprang zur Seite, um nicht erfasst zu werden. Nach etwa fünfzig Metern hielt der Wagen an. Viktoria schlug das Herz bis zum Hals. Hatte man sie entdeckt? Vielleicht war es die Polizei, die hier des Nachts patrouillierte – oder, was noch schlimmer wäre, Lebenovs Leute.
    Langsam ging sie voran, während der Wagen mit laufendem Motor auf sie wartete.
    In sicherem Abstand blieb sie stehen, und als der Fahrer bemerkte, dass sie nicht gewillt war, weiterzugehen, stieß jemand die Beifahrertür auf und setzte ein Bein hinaus.
    »Können wir dich irgendwohin mitnehmen, Schätzchen?«, fragte eine ältere Frau. Viktoria glaubte, sie zu kennen. Dann sah sie, dass es Vera Leonardowna war, Leonids Großmutter, die sie vor einer Weile in ihrer Jurte aufgesucht hatte. Sie trug Hosen und festes Schuhwerk. Darüber eine bunte Kittelschürze, als ob man sie geradewegs vom Herd weggeholt hatte.
    »Sie schickt der Himmel«, stieß Viktoria erleichtert hervor.
    Die alte Frau sah sie überrascht an, doch dann verdüsterte sich ihr Blick. »Was ist mit Leonid? Ist ihm was zugestoßen?«
    Offenbar wusste Vera Leonardowna von ihrer Verbindung zu Leonid. Ohne eine Antwort abzuwarten, kletterte die Alte aus dem Wagen und öffnete die hintere Tür. Mit einem Nicken wies sie Viktoria an, Platz zu nehmen. Am Steuer des Wagens saß eine zweite Frau, die wesentlich jünger war. Dem Aussehen nach hätte sie Leonids Mutter sein können.
    »Bashtiri und Lebenov halten ihn gefangen«, stieß Viktoria hervor. »Am Cheko, im Camp. Deshalb war ich auf dem Weg zu Ihnen. Niemand außer Ihnen kann ihm noch helfen.«
    |356| »Du bist den ganzen weiten Weg gelaufen, Kind? Nur um sein Leben zu retten?«
    Viktoria erzählte die ganze Geschichte, während der Wagen auf Anweisung von Leonids Großmutter seinen Weg ins Jurtendorf fortsetzte.
    »Was werden sie mit ihm

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