Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
der Erde agiert, und der Hauptsteuerung im Heck des Schiffes herstellen. So wird das Schiff auch ohne Pilot automatisch auf Kurs gehalten, ganz gleich, wie weit es vom Wind abgetrieben wird. Außerdem sind wir auf diese Weise in der Lage, den gesamten Kurs vorab zu bestimmen. Von hier aus bis – wenn Sie wollen – Nagasaki. Dort angekommen, gibt ein automatisches Funkfeuer, das von einem mechanischen Zähler ausgelöst wird, den Startschuss zur Zündung der Bombe.« Lobow nickte anerkennend und bewies damit seine Unwissenheit. Auch wenn allein die Tatsache, ein Luftschiff als automatisch gelenktes Kriegsschiff nutzen zu können, schon ein Erfolg für sich darstellte, so reichte es längst nicht, um eine alles zerstörende Waffe zu produzieren, deren explosives Niveau – ferngelenkt nach Japan – noch bis Moskau zu spüren gewesen wäre.
Lobow nickte erneut. »Sie sind ein Genie, Schenkendorff. Sie alle sind Genies …«, sagte er und weitete seine Lobeshymne auf Pjotr und Weinberg aus, die ihnen in die Steuerungsgondel gefolgt waren.
»Es wäre wirklich schade gewesen, wenn man Männer wie euch einfach erschossen hätte …«
Am 14. Juni 1908 zeigte sich das Wetter abermals von seiner freundlichen Seite. Dem Start des Prototyps LS1 stand nichts mehr im Wege. Am nächsten Morgen wollte man in aller Frühe beginnen, das erste der beiden Luftschiffe aus der Halle zu befördern. Den ganzen Tag zuvor hatte man die Tanks mit einem Wasserstoff-Heliumgemisch befüllt, und nun schwebte es leicht wie eine Feder in fünf Meter Höhe über dem Boden. Lobow hatte in der Nacht zuvor die Wachen verstärkt, damit auch ja niemand auf die Idee kam, das Vorhaben in letzter Minute zu sabotieren.
Leonard hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan und am Morgen die verbliebene Zeit genutzt, indem er Katja mit der üblichen Aufmerksamkeit |361| beglückte. Obwohl ihm eigentlich nicht der Sinn danach stand, weckte er sie aus einem unruhigen Schlaf und gab ihr mit ein paar stürmischen Küssen zu verstehen, dass er sie wollte. Leise zeternd gab sie ihm nach und zog ihre Schenkel an, damit er tief in sie eindringen konnte.
Während sie sich genüsslich unter ihm rekelte, bewegte er sich behutsam in ihr und raunte ihr Zärtlichkeiten zu – nicht nur, weil er sie liebte und sie sich einer fortgeschrittenen Schwangerschaft erfreute, nein – weil er Angst hatte, höllische Angst, dass es das letzte Mal sein konnte, dass er bei ihr lag. Doch er sagte kein Wort, sondern stöhnte laut und hingebungsvoll, als wenn es nichts anders gab, an das er denken konnte.
Lobow hatte wie selbstverständlich erwartet, dass Leonard Schenkendorff als einer der verantwortlichen Ingenieure den Jungfernflug des LS1 persönlich begleitete. Schließlich war der Deutsche für die Überwachung der Steuerungsautomatik, des Funkverkehrs und der Navigationsgeräte verantwortlich. Zusammen mit Pjotr und Weinberg, der für die 800 PS starken Motoren zuständig war, würde er sämtliche Ergebnisse der Testfahrt protokollieren. Später wollte man die Leistung der Maschinen noch steigern, nicht nur um einen Höhenrekord zu erreichen, sondern auch um einen Streckenrekord aufzustellen. Bis hierher hatte Leonard seine wissenschaftliche Arbeiten mit Enthusiasmus verfolgt, dabei hatte er niemals daran gedacht, eines Tages selbst fliegen zu müssen.
»Es heißt Fahren … nicht Fliegen …«, hatte Pjotr ihn lachend getröstet. »Es ist längst nicht so gefährlich, wie du glaubst. Es sei denn, dein automatischer Navigator steuert uns in die falsche Richtung und wir zerschellen an einem Berg – aber notfalls kann ich auf manuelle Steuerung umschalten, und wir kommen mit dem Leben davon.«
Was hätte er dazu schon sagen sollen? Sicher nicht, dass er Angst vorm Fliegen hatte und dass ihm die Arbeiten in der längst nicht so hohen Gondel in der Konstruktionshalle von Beginn an Probleme bereitet hatten.
Das ganze Lager war auf den Beinen, als sich das riesige Luftschiff unter einem leisen Rauschen in die Lüfte erhob. Unzählige Männer an Seilen sorgten dafür, dass das Schiff sich in die richtige Richtung |362| schob, um die gut dreißig Meter hohe Konstruktionshalle verlassen zu können. Pjotr saß laut pfeifend in der Führungskanzel wie der Kapitän auf der Brücke seines Schiffs, und Weinberg rannte im Maschinenraum umher, während Leonard ein paar Pläne zurechtlegte und den Kompass justierte. Insgeheim beneidete er Aslan, der sicher unten am Boden stand, seine
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