Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
unterschlagen |389| hast. Vielleicht hat das kleine Flittchen ja einen Grund, mich zu hassen. Womöglich hast du ihr schöne Augen gemacht und vielleicht auch noch mehr.«
»Das ist ungerecht«, versuchte Leonard sich zu verteidigen. »Was sollte ich denn machen? Man hat mich hierher verschleppt, und ich hatte keine Wahl, irgendetwas zu entscheiden. Ich wollte nur überleben, damit ich dich eines Tages wiedersehen kann.«
»Und bis dahin vögelst du mit einer anderen!« Katja funkelte ihn unter Tränen wütend an.
»Verdammt!« Das war einfach zu viel. Wie gehetzt sprang er aus dem gemeinsamen Bett. »Wie kannst du so etwas nur behaupten! Schließlich haben wir es dir zu verdanken, dass wir in dieser Scheiße sitzen. Wenn du ehrlich zu mir gewesen wärest und mir gleich von den Plänen deines Bruders erzählt hättest, wäre es nie soweit gekommen! Du warst es, die mich zuerst betrogen hat, und das alles wegen dieses lächerlichen Aufstandes, der ohnehin von deinem ach so heiß verehrten Pater Gapon inszeniert worden war. Wusstest du, dass er ein gedungener Vertrauensmann der Ochrana war?«
»Du lügst!« Ihre Augen sprühten vor Hass.
»Ich lüge? Wer weiß das schon? Weinberg meinte sogar, du selbst seist eine Spionin. Wem, frage ich mich, kann man denn hierzulande noch vertrauen?«
»Raus!« Katja war aufgesprungen und mit zwei Schritten bei seiner Kleiderkiste. Wutentbrannt packte sie Hose und Jacke und schleuderte ihm beides vor die Füße. Während er sich fassungslos bückte, um die Sachen aufzuheben, warf sie ihm einzeln die schweren Stiefel an den Kopf.
Schweigend zog Leonard sich an. Katja beschäftigte sich unterdessen mit dem weinenden Mädchen.
»Ich werde jetzt gehen«, erklärte er mit fester Stimme. Insgeheim hoffte er, sie würde einlenken. Immerhin hatte er eine riskante Reise vor sich, und sie würden sich mindestens zwei Wochen nicht sehen.
Doch Katja hatte ihm den Rücken zugedreht und tröstete die kleine Viktoria. Wenigstens von dem Mädchen wollte er sich mit einem Kuss verabschieden.
»Komm uns ja nicht zu nahe«, giftete Katja ihn an. »Es ist gut, dass du fort bist. So habe ich zwei Wochen Zeit, um herauszufinden, ob es |390| wirklich Liebe ist, was uns verbindet. Oder nur ein gemeinsames Schicksal, an dem ich ja anscheinend die alleinige Schuld trage.«
Mit einem tiefen Seufzer wandte sich Leonard zur Tür. »Du machst einen Fehler«, stieß er verzweifelt hervor.
»Das gehört zu meiner Natur«, erwiderte sie bissig. »Du hast es selbst gesagt.«
Schweren Herzens nahm er seinen Mantel und schulterte seinen Seesack, in dem sich alles befand, was er für die nächsten zwei Wochen benötigte. Dann ging er wortlos nach draußen.
Ein Blick in den Himmel verhieß nichts Gutes. Ein leichter Südostwind brachte feuchte Luft heran. LS1 sollte am 30. Juni 1908 das Versuchsareal erreichen, doch ein Sturm oder ein Unwetter würde die ganze Planung in Frage stellen.
Knapp einhundertfünfzig Werst mussten sie zu Pferd bis zur Versuchsstation zurücklegen, die gut sechzig Werst nordwestlich von Vanavara entfernt lag. Die Arbeiter des Lagers hatten dort im vergangenen Sommer nach den Plänen der Lagerleitung eine Versuchsstation errichtet, die nicht nur den Ansprüchen der Wissenschaftler genügte. Auf einem knapp fünfhundert Meter hohen Hügel oberhalb eines Flusses hatte man eine gewaltige Antenne installiert. Darunter, am Fuß des Hügels hatte man tief im Erdreich einen Bunker angelegt, der sämtliches technisches Gerät beherbergte. Gleichzeitig bildete die unterirdische Anlage die Schalt- und Kommandozentrale der Station und sollte aufgrund der versteckten Lage vor der Ausspähung durch ausländische Spione schützen.
Aufgebracht nach dem heftigen Streit mit Katja, kontrollierte Leonard die letzten Funkberichte für einen reibungslosen Versuchsablauf, bevor er mit Pjotr und Weinberg zu den Pferden marschierte und sein Gepäck auflud. Mit annähernd fünfzig Reitern würde es durch die endlos erscheinenden Wälder der Taiga zum eigentlichen Einsatzgebiet gehen. Neben einer hochrangigen Abordnung des Kriegsministers war es Kommandeur Lobow, der die Truppe anführte. Begleitet wurden sie von dreißig schwer bewaffneten Kosaken, die zu ihrem Schutz abgestellt waren. Pjotr und Weinberg, die Mühe hatten, den Anschluss zu behalten, taten sich schwer mit den Pferden, im Gegensatz zu Leonard hatten sie nie Reitunterricht erhalten. Aslan war mit |391| Maganhir, dem Schamanen, und einem
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