Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
machen wir hier?« Viktoria sah Leonid von unten herauf an. Sie hatte leise und Deutsch gesprochen. Svetlana stand vor ihm und hatte ihm den Rücken zugewandt. Sie duftete wie ein Parfümladen. Viktoria |424| ahnte, dass Lukaschek jemand sein musste, der auf diese Aufmachung abfuhr, und dass Svetlana sich einen Vorteil davon versprach.
Ein riesiger glatzköpfiger Kerl in einem ehemals weißen Unterhemd öffnete misstrauisch die Tür, nachdem Svetlana mehrfach geläutet hatte.
Lukaschek roch nach Schweiß und Alkohol. Sein ganzer Oberkörper war bis zu seinem Stiernacken dicht behaart. Ein paar Goldzähne leuchteten, als er Svetlana erkannte. Sie fiel ihm ungeniert um den Hals und küsste links und rechts seine speckige Wange.
Mit einer rudernden Geste trieb Lukaschek seine Gäste in seine bescheidene Behausung. Danach ging alles erstaunlich schnell. Lukaschek fotografierte Leonid mit einer hochauflösenden Digitalkamera, und wenig später hielt er ein perfektes Passfoto in Händen. Anschließend eilte Lukaschek nach nebenan, in ein weiteres Zimmer, in das ihm niemand folgen durfte.
In Lukascheks Wohnzimmer lief pausenlos der Fernseher; auch hier flimmerten immer wieder Fahndungsbilder von Leonid und Viktoria über den Schirm. Es hieß, Leonid sei ein Sympathisant tschetschenischer Rebellen und habe mindestens vier Menschen getötet und einen Helikopter von GazCom gekapert, um in Begleitung seiner deutschen Geisel die Flucht in den Süden des Landes anzutreten.
Nach einer halben Stunde, in der niemand ein Wort sprach, zückte Svetlana ihre weiße Handtasche. Fünfzehntausend Rubel wechselten den Besitzer. Dafür drückte der Passfälscher Leonid eine original russische ID-Karte in die Hand, dazu zückte er wie aus dem Nichts eine ältere Makarov, die Leonid dankend ablehnte.
»Es reicht, dass ich einen Helikopter gekapert und eine Deutsche entführt habe«, meinte er scherzhaft zu Lukaschek, »deshalb muss ich noch lange nicht unseren Weg nach Moskau mit Toten pflastern.«
Svetlana schien sich nicht sicher zu sein, ob es klug war, ohne Waffe zu reisen. »Wenn unsere Tarnung funktioniert«, meinte sie schließlich, »wird euch hoffentlich niemand behelligen.«
Sie bat, Leonid den GazCom-Pullover und die unbequemen Springerstiefel ausziehen, um sich von Lukaschek neu einkleiden zu lassen. Viktoria hob zweifelnd eine Braue, als Leonid wenig später in einem leicht vergilbten Nylonhemd mit blaurot gestreifter Krawatte erschien. |425| Dazu trug er ein Paar helle Slipper, die ihm zwar besser passten, jedoch in Kombination mit der weiten dunkelblauen Cargohose und einem viel zu großen olivgrünen Jackett ziemlich gewöhnungsbedürftig aussahen.
»Wenn wir auf diese Weise nicht auffallen, fresse ich einen Igel mit Stacheln«, flüsterte Viktoria resigniert.
»Mach dir keine Gedanken!«, erklärte Leonid lächelnd. »Für hiesige Verhältnisse ist das vollkommen in Ordnung.«
Er schaute Svetlana fragend an, als sie zum Auto zurückkehrten.
»Wie kann ich das wiedergutmachen?
»Gar nicht. Erstens habe ich mit Lukaschek einen Sonderpreis ausgehandelt, und zweitens gibt es kaum jemanden, dem ich lieber aus der Patsche helfe als dir.«
Ihre Augen schimmerten feucht, als er ihr die Wagentür aufhielt. Viktoria konnte beim Einsteigen sehen, wie Leonid seine ehemalige Lehrmeisterin wehmütig anlächelte.
Eine Fahrkarte mit dem Nachtzug von Krasnojarsk nach Moskau kostete neuntausend Rubel pro Person, der Hund kam extra. Viktoria wehrte sich dagegen, dass Svetlana erneut alles bezahlte.
Leonid besaß keinen einzigen Rubel, aber auch er hatte seine eigenen Vorstellungen.
»Ich werde mich bei dir melden, sobald ich Viktoria bei der deutschen Botschaft abgeliefert habe«, versprach er Svetlana leise, während er den Wagen in der Nähe des Hauptbahnhofs parkte. »Und dann komme ich zurück und werde dir sämtliche Auslagen erstatten.«
»Bist du wahnsinnig?«, wetterte Svetlana ungeniert. »Ich will, dass du das Mädchen nimmst und mit ihr glücklich wirst, ganz gleich wo, von mir aus auf dem Mars, nur nicht hier. Hast du mich verstanden?«
Die beiden stritten sich noch, als Viktoria eine Filiale der Raiffeisen-International-Bank in der Nähe des Bahnhofs betrat und ihre deutsche Kreditkarte zückte. Beinahe hätte sie den falschen Pass aus ihrer geliehenen Lackledertasche gezogen, um das notwendige Geld abheben zu können. Der Kassierer war so sehr von ihrer Aufmachung fasziniert, dass er gar nicht auf ihren Pass
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