Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska

Titel: Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina André
Vom Netzwerk:
sich aber mit einem Tunneldurchzug regulieren ließ. Behutsam trocknete er sie ab und streifte ihr schließlich die Kleidung über. Zwischendurch prüfte er immer wieder ihren Puls.
    Erstes Gebot: Sie durfte nicht frieren. Nachdem er ihr die Felldecke bis zur Nasenspitze gezogen und sie sorgsam darin eingehüllt hatte, |102| stand er auf und steckte einen Kienspan nach dem anderen in den selbst gemauerten Ofen, bis ein kleines Feuer prasselte. Dann setzte er in einem emaillierten Teekessel, der wohl noch aus dem letzten Jahrhundert stammte, Wasser auf.
    Es war kein schwarzer Chinese, den er dem brodelnden Element hinzufügte, sondern eine spezielle Mischung aus sibirischen Kräutern und Pilzen, deren geheime Rezeptur nur unter Schamanen Anwendung fand. Der Dampf sowie der Sud brachten den Kranken mit seiner eigenen inneren Wirklichkeit in Verbindung und machten es möglich, einen Genesungsprozess einzuleiten, der von den guten Geistern in dessen Umgebung begünstigt wurde.
    Mit einem leisen Seufzer setzte sich Leonid neben die bewusstlose Frau und bettete ihren Oberkörper auf mehrere Kissen, sodass sie halb aufrecht zu sitzen kam. Dann nahm er mit einer Hand einen tönernen Becher, den er zuvor auf einer alten Armeekiste abgestellt und mit dem Sud gefüllt hatte. Vorsichtig fächelte er seiner Patientin mit der anderen Hand den Dampf unter die Nase. Leise murmelte er einen Spruch, den Taichin ihm vor einiger Zeit beigebracht hatte, um Kranke aus dem Zustand geistiger Umnachtung zurückzuholen.
    Die Bitte um Unterstützung aus der Oberwelt schien zu funktionieren – auch ohne Trommeln und laute Beschwörungsformeln. Die Augenlider der Frau begannen zu flattern, und dann sah sie ihn an. Ihre Augen waren beinah so grün wie das Gras auf der Lichtung, und obwohl ihr Blick getrübt war, schien sie wach zu sein.
    Leonid kühlte den Sud, indem er mehrmals darüber blies, dann hob er mit einer Hand ihren Kopf an und half der jungen Frau, vorsichtig zu trinken. Für einen Moment verzog sie das Gesicht, nicht weil der Trunk zu heiß, sondern weil er anscheinend zu bitter war. Kein Wort kam über ihre Lippen, obwohl sie ihn unentwegt anstarrte. Zug um Zug leerte sie den Becher. Leonid stellte den leeren Becher zur Seite und bettete ihren Kopf zurück auf das Kissen. Dann strich ihr zärtlich die Haare aus dem Gesicht. Ihr Blick schien entrückt, als ob sie durch ihn hindurchsehen konnte. Sacht ließ er seine Hand auf ihrer Stirn ruhen, in der stummen Hoffnung, dass es nicht lange dauern konnte, bis sie endgültig zu sich kam. Sie war keine Ewenkin, doch warum sollte der Zauber bei ihr nicht wirken? Mittlerweile kamen etliche Russen |103| aus der Stadt, die der Schulmedizin nicht vertrauten, um bei Krankheit Taichins Rat und Hilfe zu suchen.
     
    Das Camp war vollkommen verwüstet. Von Viktoria Vanderberg fehlte jede Spur. Professor Rodius hatte bis zur Erschöpfung nach ihr suchen lassen. Erst recht, nachdem man Vitalys Leichnam vor knapp zwei Stunden geborgen hatte. Nun lag der tote russische Wissenschaftler in einen Plastiksack gehüllt; darin sollte er nach Vanavara in eine Kühlkammer gebracht werden, in der man für gewöhnlich Fisch aufbewahrte. Erst übermorgen würde er von dort aus seinen letzten Weg nach Moskau antreten können.
    Seine Gefährten auf dem Katamaran waren mit dem Schrecken davongekommen. Attilo, der blonde Hüne mit den eisigen Augen und gleichzeitig Bashtiris bester Mann, hatte es mit einem verstauchten Arm ganz allein zum Ufer geschafft. Seine Unterwasserkamera war allerdings auf den Grund des Sees gesunken. Er selbst lag auf der provisorischen Krankenstation des Camps und wartete auf Doktor Parlowa, damit sie sich seinen verletzten Arm ansah.
    Als sich der Abend über die improvisierten Holzhütten herabsenkte, war die Stimmung nicht nur wegen Vitalys Tod gedrückt. Es konnte noch Tage dauern, bis man alles wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzt haben würde, und eine vage Angst ging unter den Studenten umher, dass sich dieser Vorfall jederzeit wiederholen konnte.
    Bashtiri fluchte, weil es immer noch kein Lebenszeichen von der deutschen Geophysikerin gab. Wenn sie nicht wieder lebend auftauchte, würde es international zu einer schlechten Presse kommen, und das wollte und konnte er sich vor der russischen Regierung, die an diesem Projekt, wenn auch aus anderen Gründen als er selbst, interessiert war, nicht leisten.
    »Sie müssen etwas unternehmen!« Rodius blaffte den russischen

Weitere Kostenlose Bücher