Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
Sergejewitsch Bashtiri erkennen, der mit einem breiten Grinsen vor einem Uniformierten salutierte, als wäre er selbst ein Soldat. Sein Gegenüber war weitaus breitschultriger als der verschlagene Kaukasier. Der hochrangige Angehörige der GazCom-Sicherheitstruppe , der ihn mit einem Bruderkuss begrüßte, hatte schütteres, grau meliertes Haar und war vielleicht fünfzig Jahre alt. Er besaß ein grob geschnittenes Gesicht, das im entspannten Zustand zusammen mit den leblosen Augen eine gewisse Gefühlskälte vermittelte. Leonid kannte diesen Mann, und er wusste, dass er mühelos über Leichen ging.
Der Mann hieß Andrej Semjonowitsch Lebenov und war ein ehemaliger Oberst des FSB und Bashtiris langjähriger Weggefährte. Soweit Leonid wusste, hatten nicht wenige Offiziere nach ihrer Rückkehr aus Tschetschenien eine zweite, wesentlich besser bezahlte Karriere bei dem Energiemonopolisten begonnen. Beinahe zeitgleich hatte man dort eine Privatarmee aufstellen lassen, die nicht nur die Pipelines, sondern auch die futuristisch anmutenden Glas- und Betonpaläste der Geschäftszentralen vor terroristischen Anschlägen schützen sollte. Dass die neu eingerichteten Truppenverbände – mit einer Sondergenehmigung des Präsidenten und einem Freifahrtschein des FSB – rechtlich der russischen Polizei und Armee beinahe gleichgestellt waren und einen Staat im Staate bildeten, interessierte bis auf die wenig einflussreiche Opposition offenbar niemanden.
Leonid erschauerte bei dem Gedanken, dass Bashtiri und Lebenov nun einen Teil dieses neuen russischen Sonderreiches darstellten, dessen Grenzen noch lange nicht abzusehen waren. Seine Hoffnung, keinem der beiden Männer je wieder begegnen zu müssen, bekam mit deren |131| direkter Anwesenheit in seiner Heimat einen ordentlichen Dämpfer.
Alles in ihm sträubte sich dagegen, das Mädchen ausgerechnet hier zurückzulassen. Ihr wird nichts geschehen, sagte er leise, wie um sich selbst zu beruhigen. Im Gegenteil, sie war eine Deutsche. Teilnehmerin einer offiziellen Delegation, und damit besaß sie eine Art diplomatischen Status. Bashtiri würde alles daran setzen, dass sie wieder gesund werden würde. Schließlich war er stets bestrebt, sein internationales Image aufzupolieren. Außerdem hatte sie mit den Angelegenheiten des fragwürdigen Oligarchen nicht das Geringste zu tun. Also warum sollte der Mogul sie in etwas hineinziehen, das sie nichts anging und das sie ohnehin nie begreifen würde.
Widerstrebend schlich Leonid weiter bis zu einer kleinen Hütte, die offenbar als Badehaus und Sauna errichtet worden war. Vorsichtig legte er die junge Frau auf einer kleinen hölzernen Veranda ab.
Mit klopfendem Herzen erhob er sich, um in halbgebückter Stellung davonzuschleichen. Ein letzter Blick auf ihr regloses Gesicht – und ein leises Gefühl der Sehnsucht blieb ihm, bevor er zögernd wieder im Wald verschwand.
Aus sicherer Entfernung schickte er Ajaci mit einem gemurmelten Befehl auf den Weg. Der Hund sollte hinunter zum Camp laufen und aufheulen, damit die Bewohner auf ihn und die Frau aufmerksam wurden.
Sven Theisen rätselte noch, ob es sich um gedungene Söldner oder echte Soldaten handelte, die dem riesigen Helikopter entsprungen waren. Ihr Anführer hatte Bashtiri mit einem Bruderkuss begrüßt, und dann hatte sich die Truppe zusammen mit Bashtiris Leuten endlich zu dem lang ersehnten Suchtrupp formiert. Ein Teil der Soldaten hatte Taucheranzüge angelegt und suchte den See und die Uferzone ab. Ein zweiter Trupp Uniformierter sollte die Flussufer und den angrenzenden Wald absuchen. Nachdem die Leiche der Deutschen nicht aufgetaucht war, blieb die Hoffnung, dass sie sich irgendwo ans Ufer hatte retten können.
Etwas eiliger als sonst machte sich Theisen auf den Weg, um sich noch ein wenig Proviant und eine Wasserflasche einzupacken, bevor er |132| sich den Männern anschließen wollte. In der Nähe der Blockhütte angekommen, die Toilette, Badehaus und Sauna beherbergte, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen. Ein Wolf versperrte ihm den Weg zu den Unterkünften. Lauernd und mit glänzenden Augen, die Zähne leise gefletscht, stand das Tier mit aufgestelltem grauem Nackenfell auf dem schlammigen Weg.
Theisen wagte nicht, sich zu rühren, aus Angst, das Tier könnte ihn anfallen. Doch unwillkürlich löste sich ein Schrei aus seiner Kehle, heiser und zitternd, jedoch laut genug, um einen von Bashtiris Männern auf ihn aufmerksam zu machen.
»Bleiben Sie stehen, wo
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