Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
dass eine natürliche Gasexplosion die Katastrophe von Tunguska verursacht haben könnte, macht die Angelegenheit nicht weniger dringlich.«
»Ganz recht«, stimmte ihm Rodius zu. Mit einem strengen Blick nahm er Bashtiri erneut in die Pflicht. »Worauf warten Sie?«, fragte er provozierend. »Wann können wir endlich aufbrechen.«
»In ein paar Minuten.« Bashtiri erlaubte sich ein knappes Lächeln, das keinen weiteren Widerspruch duldete. »Ich habe Kommandant Lebenov per Funk erreichen können. Er muss jeden Augenblick eintreffen. Seine Truppe eignet sich für die Suche nach vermissten Personen weit besser als meine eigenen Männer.«
Leonid hatte den Weg mitten durch die Wildnis genommen. Der von Vanavara kommende, ohnehin versumpfte Hauptweg, den er unterwegs kreuzte, wäre zu auffällig gewesen. Hirku zockelte trotz der vielen Hindernisse folgsam hinter ihm her. Dabei setzte der struppige Hengst so vorsichtig einen Huf vor den anderen, als ob er sich seiner wertvollen Fracht bewusst wäre. Ajaci lief indessen voraus, nicht weniger bedacht und voller Aufmerksamkeit, die er unentwegt auf seinen Herrn gerichtet hielt. Auch er schien zu spüren, dass er Teil einer ganz besonderen Mission war. Immer wieder versicherte sich Leonid, ob die bewusstlose Frau, die er auf einigen Decken und Fellen kopfüber auf den Rücken des Pferdes gebettet hatte, noch atmete. Bequem war diese Position sicher nicht, doch etwas Besseres war ihm nicht eingefallen, |129| um die knapp sechs Kilometer zum Camp so angenehm wie möglich zurückzulegen. Die letzten fünfhundert Meter vor dem Ziel stoppte er das Pferd und band dessen Zügel an einer Lärche fest. Von hier aus konnte er einen Teil des Seeufers und einige der erst kürzlich errichteten Hütten des Camps einsehen. Auf den ersten Blick wirkte alles recht friedlich, aber auf den zweiten Blick erkannte er die Menschen, die aufgescheucht Unrat und Schmutz beseitigten. Also war es auch hier zu einer verheerenden Überschwemmung gekommen.
Leonid war neugierig, was dieses Unglück ausgelöst haben konnte. Leider war es ihm nicht möglich, einfach im Camp nachzufragen. Plötzlich wurde er auf das Geräusch eines herannahenden Helikopters aufmerksam. Bevor er sich halbwegs in Deckung bringen konnte, donnerte auch schon eine Mil Mi-8 in Tarnfleckfarbe über ihn hinweg und setzte in unmittelbarer Nähe zum Camp neben einem weißen Helikopter aus Bashtiris Flotte zur Landung an. Bei dem landenden Helikopter handelte es sich nicht um russisches Militär, wie er zunächst angenommen hatte, sondern um eine Maschine der kürzlich aufgestellten Privatarmee des Energieriesen GazCom .
Ein Gefühl der Unruhe erfasste Leonid. Seit jenen Tagen in Tschetschenien hatte er gegenüber Helikoptern dieser Sorte eine Art Hassliebe entwickelt – erst recht, wenn sie eine militärische Tarnung trugen. Ihn begeisterte die Technik dieser fliegenden Kampfmaschinen, die er als ausgebildeter Militär-Pilot perfekt beherrschte, aber er hasste den Tod und das Elend, die sie zumeist über die Menschen brachten.
Trotz leiser Bedenken entschloss er sich, die Frau zunächst aus ihrer unbequemen Lage zu befreien. Sie trug immer noch seine abgelegten Sachen; Ärmel und Hosen hatte er umgekrempelt, damit sie ihr halbwegs passten. Ihr warmer Körper schmiegte sich weich und willenlos in seine Arme, als er sie aufnahm. Der Kopf lag in seiner Armbeuge, und ihre Lippen erschienen ihm so verführerisch, dass er sich wünschte, sie einfach wach küssen zu können. Das hier war jedoch kein Märchen, und er war alles andere als ein Prinz. Wieder ergriff ihn dieses seltsame Gefühl der Verbundenheit, und ein leichter Widerstand keimte in ihm auf, dass er die Frau unmöglich der Natur überlassen und darauf hoffen sollte, dass jemand sie fand.
Schritt für Schritt, in der sicheren Deckung von Dickicht und Bäumen, |130| näherte er sich den Baracken. Ajaci folgte ihm auch jetzt, doch der Hund blieb im Hintergrund. Er wusste immer, was sein Herr von ihm erwartete, und wenn Leonid sich besann, hatte Taichin recht. Das Tier war sein geistiger Bruder, der wie eine Zwillingsseele aufs engste mit ihm verknüpft war.
Aus der Ferne konnte er sehen, wie sich einige Gestalten in Tarnanzügen aus dem zweiten Helikopter schwangen. Dann folgten Kisten, die sie nacheinander ins Lager trugen. Vorsichtig ging Leonid mit seiner wertvollen Fracht in die Hocke und bog einen Birkenzweig zur Seite. Wenn er genau hinschaute, konnte er Sergej
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