Schamanenfeuer: Das Geheimnis von Tunguska
vereinbarten Liebesdienste abfordern konnte.
Sergej Bashtiri, der in einem Armeeoverall und mit einem Barett wie der Diktator eines afrikanischen Bananenstaates durch das Lager schritt, schien die Abreise seiner schönen Begleiterinnen nicht im Geringsten zu stören. Wie Kolja beiläufig mitbekommen hatte, trieben den erfolgsgewohnten Mann ganz andere Sorgen. Sein Projekt war gefährdet. Obwohl die Gasförderung in diesem Gebiet durchaus Erfolg versprechend erschien, war es fraglich, zu welchem Preis sie zu haben war. Ein toter Wissenschaftler, der in einem Lagerschuppen auf seinen Abtransport in die Hauptstadt wartete, lieferte dem erfolgsgewohnten Firmenchef ein denkbar schlechtes Omen für den weiteren Verlauf der Aktion. Selbst wenn nach allem, was geschehen war, eine Menge an Fragen von seiten der Umweltverbände und der GazCom-Konzernleitung auf ihn niederprasseln würde, dachte er nicht daran aufzugeben. Wenn allerdings die deutsche Wissenschaftlerin verschollen blieb oder ihr Leichnam gefunden wurde, kam man in Moskau möglicherweise zu dem Schluss, dass die ganze Angelegenheit für TAIMURO eine Nummer zu groß sein könnte. Wenn es ganz schlecht lief, musste Bashtiri seine Lizenzen für dieses Gebiet an die viel größere Muttergesellschaft GazCom zurückgeben. Dass ihm daraus Millionenverluste entstehen konnten, bedurfte keiner näheren Erklärung. Neben dem Öl wollte er schon seit längerem ins Gasgeschäft einsteigen, |127| doch ohne das Wohlwollen und die Zustimmung des Präsidenten war an Profit erst gar nicht zu denken. Vielleicht war es ratsam, sich zumindest der deutschen Wissenschaftler zu entledigen, indem man sie zur Aufgabe des Projektes überredete.
Für den toten Angehörigen der Moskauer Universität hatte man früh am Morgen eine kleine Trauerfeier organisiert. Stumm und mit gefalteten Händen hatten die Campbewohner ihm minutenlang die letzte Ehre erwiesen, indem sie vor der verhüllten Leiche Aufstellung genommen hatten. Dabei hatten sie kein Gebet gesprochen, sondern – wenn auch etwas schief – die russische Nationalhymne gesungen. Schließlich hatte man den Leichnam für seine letzte Reise in einen weiteren Plastiksack verpackt.
Rodius hatte darauf bestehen wollen, die Suche nach Viktoria Vanderberg bereits um sechs Uhr in der Frühe fortzusetzen. Doch Bashtiri hatte elf Uhr angeordnet, weil er bis dahin die angekündigte Verstärkung erwartete.
Pünktlich um neun landete zunächst ein schneeweißer Helikopter mit dem Firmenlogo von TAIMURO auf dem teilweise beschädigten hölzernen Landedeck. Die Rotorblätter verursachten ein ohrenbetäubendes Geräusch und wirbelten beiseite geschaffte Pappkartons umher.
Ein paar Arbeiter aus Bashtiris Firma entluden den Helikopter, der neben frischen Medikamenten und Decken auch Lebensmittel und Wasser in großen Kanistern an Bord hatte.
»Ich stelle es den hier anwesenden Wissenschaftlern frei«, erhob Bashtiri in einer kurzen Ansprache seine mediengeübte Stimme, »die Expedition zu beenden. Wer möchte, kann noch heute den Weg nach Hause antreten. Es wird Tage dauern, bis wir den ursprünglichen Zustand des Camps wiederhergestellt haben. Zudem hat mir Professor Olguth versichert, dass die Überschwemmung durchaus von einer riesigen Gasblase verursacht worden sein könnte, die plötzlich und aus noch unbekannten Gründen vom Boden des Sees aufgestiegen ist. So etwas kann jederzeit wieder geschehen. Wir befinden uns somit in dauernder Gefahr. Sie müssen also selbst entscheiden, ob Sie Ihre Untersuchungen fortsetzen wollen. Ich hätte Verständnis dafür, wenn unsere deutschen Gästen unter den gegebenen Umständen den Heimweg antreten wollen.«
|128| »Bevor Doktor Vanderberg nicht gefunden wird, werde ich diesen Ort nicht verlassen«, beschied Professor Rodius mit fester Stimme. »Ich auch nicht«, warf Sven Theisen ein, obwohl ihm der Schock über die Geschehnisse immer noch ins Gesicht geschrieben stand und er seinen Arm in einer Schlinge hielt. »Wenn Sie nichts unternehmen, suchen wir Viktoria auf eigene Faust«, verkündete er mit entschlossener Miene.
Professor Olguth, der meist an der Seite seines deutschen Kollegen zu finden war, wandte sich erneut Sergej Bashtiri zu. »Außerdem haben wir neben der geophysikalischen Untersuchung zu möglichen Gasfeldern einen Auftrag der russischen Regierung zu erfüllen«, erklärte er. »In erster Linie wollen wir aufklären, was hier vor gut einhundert Jahren geschehen ist. Und die Tatsache,
Weitere Kostenlose Bücher