Schandtat
Sarkasmus erkennen. »Inwiefern?«
»Das willst du gar nicht wissen.«
»Na klar will ich das.« An diesem Punkt kam der Lehrer herein. Ein großer, dicklicher Mann mit dem Haarschnitt eines Geschäftsmanns aus den Fünfzigern und dunklen Augen unter buschigen Brauen. Er trug ein weißes Hemd und eine dunkelblaue Krawatte.
»Dann frag deinen Dad. Dieser Junge ist öfter in seinem Büro als irgendjemand sonst von dieser Schule.«
»Seine Eltern sind bei einem Autounfall ums Leben gekommen.«
Theo sah mich an. »Ja … klar.«
Der Lehrer schaute in unsere Richtung, und ich warf einen Blick auf meinen Stundenplan. Mr Halvorson. Er räusperte sich. »Theo, da du am ersten Schultag in redseliger Stimmung zu sein scheinst, könntest du Ms Holly vielleicht auch gleich der Klasse vorstellen?«
Ohne zu zögern, stand Theo auf, fasste mich am Arm
und zerrte mich hoch. »Das ist Poe Holly. Sie kommt aus Südkalifornien, hat eine Mommy und einen Daddy, springt gern Seil, isst Buntstifte, trinkt geschmolzene Eiscreme und macht an warmen Sommerabenden romantische Spaziergänge durch die Weingärten. Sie hat sich den Reihen der Benders High angeschlossen, weil sie ein tief sitzendes Bedürfnis verspürt, sich zu einer Masse organischer Gelatine reduzieren zu lassen - mit den besten Wünschen der glorreichen Leitung und des gesamten Lehrkörpers dieser wunderprächtigen und wirklich besonderen Schule. Darüber hinaus …«
»Das genügt völlig.« Mr Halvorson funkelte Theo finster an. Dann fiel sein Blick auf mich. »Ms Holly, willkommen. Nehmen Sie bitte Platz.« Er griff nach einem Blatt Papier und reichte es dem ihm am nächsten sitzenden Schüler. »Bitte, tragen Sie auf dem Sitzplan Ihren Namen an dem entsprechenden Tisch ein, und reichen Sie ihn dann weiter.«
Nach fünfundfünfzig Minuten voller Klassenregeln, dem Kurslehrplan ›Aktuelles Zeitgeschehen‹ und den Stufenanforderungen wurden wir in die Pause entlassen. Als ich zwischen den Tischen hindurchging, rief mich Mr Halvorson zu sich. Er wartete so lange, bis die letzten Schüler den Raum verlassen hatten, dann lehnte er sich an sein Pult und lächelte. »Es ist schön, Sie bei uns zu haben, Poe.«
»Danke.«
Er schaute kurz hinaus in den Hof, dann wandte er sich wieder mir zu. »Ich weiß, es ist nicht leicht, die Neue zu sein, und Sie sind an Ihrem ersten Tag sicherlich nervös, aber ich wollte mich gern für einen Moment allein mit Ihnen unterhalten.«
»Gibt es ein Problem?«
Er lächelte wieder. »Natürlich nicht. Ich nehme alle neuen Schüler beiseite, um sie willkommen zu heißen. Verstehen Sie, ich glaube an proaktive Lehrmethoden.« Mit einem Lächeln versuchte er, seinen Stolz zu verbergen. »Manche Leute mögen es aggressiv nennen, aber diese Schule ist aus gutem Grund außergewöhnlich, und ich habe mich ihr voll und ganz verschrieben.« Er betrachtete mich genau, und sein Gesicht wirkte warm und freundlich. »Kommen Sie in Benders Hollow gut zurecht? Haben Sie sich schon eingewöhnt?«
Ich nickte. »Klar. Es ist nett hier.«
»Gut. Ich wollte mit Ihnen über ein besonderes Programm sprechen, das wir an dieser Schule haben, dessen Leitung rein zufällig zu meinen Aufgaben gehört.« Er warf einen Blick auf die Uhr und sammelte seine Gedanken, bevor er weitersprach. »Ich denke, als Schüler rutscht man ganz leicht in die eine oder andere Gruppe hinein oder ›Clique‹, wie man so sagt, und als neuer Schüler geschieht es oft, dass man sich zu der offensten und zugänglichsten Gruppe hingezogen fühlt. Eine Gruppe, in der man sich zwar wohlfühlt, die den Betroffenen aber zugleich von dem distanzieren könnte, worum es der Benders Highschool eigentlich geht.« Er musterte mein Outfit, und als ich nicht antwortete, sprach er weiter. »Jedenfalls wollte ich - als Vorsitzender des Gremiums für Gleichheit und Fairness an Benders High - Sie lediglich wissen lassen, dass wir stets bemüht sind, unseren Schülern eine sichere und produktive Umgebung zu gewährleisten.« Er lächelte. »Hiermit heiße ich Sie offiziell willkommen.« Als ich nicht auf die Knie fiel
und ihm huldigte, erstarb sein Lächeln, und er verschränkte die Arme vor der Brust. Er hörte sich an, als lese er direkt aus einem Handbuch vor.
»Danke, aber ich komme gut zurecht.«
Er nickte. »Davon bin ich überzeugt, und Sie sind ja auch ganz offensichtlich eine intelligente junge Frau, doch ich denke, manchmal haben es diejenigen Schüler einfach leichter im Leben, die das
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