Schandtat
hatte dieses Bauwerk die Persönlichkeit einer Leiche.
Klare Linien, übersichtlich, einheitlich und langweilig. Benders High verkörperte - wie jede neue Schule, die ich bisher gesehen hatte - genau das, was sie von ihren Studenten
erwartete: alles gleich und nichts, woran man sich hätte erinnern können. Ohne die ganzen Schilder, die diese Einrichtung als Schule auswiesen, hätte es genauso gut irgendein x-beliebiges Regierungsgebäude sein können, das während der letzten zehn Jahre erbaut worden war. Mir gefiel die Vorstellung, dass es sich um eine offene Jugendstrafanstalt für nicht gewalttätige Kleinkriminelle handelte. Frei zugänglich und luftig, aber trotzdem ein Gefängnis.
Velveeta gab mir eine kurze Wegbeschreibung zu meinem Aufenthaltsraum mit der Nummer B 112, und ich hatte keine Probleme, ihn zu finden. Verglichen mit den anderen Schulen, die ich besucht hatte, war die Benders High ziemlich klein. Richtig winzig sogar. Die Aufnahmegebühr an meiner letzten Highschool betrug über dreitausend Dollar, und wenn man sich dort verirren wollte, war das nicht weiter schwierig. Selbst nach einem Jahr hatte ich manche Räume immer noch nicht finden können.
Als ich schließlich meine Klasse betrat, standen bereits dreiundzwanzig andere Schüler in den üblichen Grüppchen zusammen und unterhielten sich. Ich nahm mir einen Augenblick Zeit, um mich nach der Punker-/Skater-/Kiffer-/ Loser-Gruppe umzusehen, und entdeckte einen Typen, der in der hintersten Stuhlreihe allein an einem Tisch saß.
Schimpft mich ruhig eine Konformistin des Nonkonformismus, doch ich setzte mich neben ihn, stellte meinen Rucksack auf den Boden und vermisste einmal mehr meine Freunde zu Hause. Seine dunkelbraunen Haare waren lang und glatt und fisselten ihm im Heavy-Metal-Stil über die Schultern. Er trug ein klassisches Black-Sabbath-T-Shirt und musterte mich, ließ den Blick über mein Outfit schweifen,
stutzte bei meinen Converse All-Stars, und dann grinste er. Grüne Augen. Er sah aus, als gehöre er eher in die Junior High. Dann tippte er mit einem Bleistift auf den Tisch. »Ich bin infiziert. Halt dich lieber fern.«
»Was?«
Er machte ein urkomisches Gesicht. »Der Benders-Fluch. Ist hochansteckend. Er springt auf dich über, wenn du neben mir sitzt.«
Ich starrte ihn an.
»Meine Eltern haben sich vor meiner Empfängnis leider nicht in die Schlange für eine Genmanipulation zur Optimierung der Evolution eingereiht.«
Ich fragte mich, ob Weingärten irgendetwas an sich hatten, das den Leuten das Gehirn verätzte. »Tickst du noch ganz richtig?«
Er schüttelte den Kopf, seine Stimme plötzlich träge und tiefer, als ich erwartet hätte. Vor Sarkasmus triefend. »Nein.« Er deutete auf die anderen Schüler im Raum. »Genmanipulierte Sklaven. Wenn du auf einen triffst, der nur so dasteht und mit leerem Blick in die Gegend starrt, dann kurbel ihn einfach an, und er läuft wieder weiter.«
Ich lächelte. »Oh. Verstehe.«
»Hast du eine Kurbel?«
»Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, hatte ich keine. Wie heißt du?«
»Theo, aber du kannst mich Schüler Nummer 31100 nennen.«
»Poe.«
Er lehnte sich zurück und streckte seine Beine unter den Tisch. »Ich habe bereits von dir gehört.«
Oh Gott, es geht also schon los. »Das typische Kleinstadtgerede?«
Er lächelte. »Der Ausdruck Privatsphäre kommt im Wortschatz von Benders-Hollowianisch nicht vor. Du bist die Tochter des Schulpsychologen. Mal sehen … Ach ja, du steckst in Schwierigkeiten. Du weißt schon, des Rechts auf freie Wahl enthoben. So drücken es jedenfalls die Ingenieure aus.«
»Die Ingenieure?«
»Erwachsene. Diejenigen, die uns programmieren. Die Ankurbler unserer Kurbeldinger.«
Von dieser Sekunde an wusste ich, dass wir bestens miteinander auskommen würden. »Und was sagen die so über dich?«
»Nichts, was irgendjemand hören könnte. Ich bin unsichtbar.«
»Wieso das denn?«
Er blies sich die Zotteln aus dem Gesicht. »Mein Dad.«
»Wer ist dein Dad?«
»Der Bürgermeister. Ich bekleide in meiner Unsichtbarkeit also einen ziemlich hohen Rang.«
Ich lächelte. »Sollte ich mich verbeugen?«
»Nur wenn dir was runtergefallen ist.«
»Gehe ich also recht in der Annahme, dass du nicht zur Gruppe der Beliebtesten gehörst?«
Er lachte. »Ich gehöre zu keiner Gruppe. Ich werde mitgezählt, weil ich Einwohner bin, aber ich gehöre nicht dazu. Der Fluch. Erinnerst du dich?«
»Was ist das für ein Fluch?«
»Ich wurde mit einem
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