Scharade der Liebe
eine reizende Dame, Georgie. Sie verlässt zwar nur selten ihr Zimmer, aber das ist in Ordnung so. Es bedeutet nur, dass wir immer wissen, wo sie ist.« Und, betete Jack insgeheim, ich hoffe, dass sie dir nicht sinnlos wehtut.
Georgie summte vor sich hin und schaute sich um. »H-hübsches Zimmer«, sagte sie, riss sich von Jack los und stürzte zu einem bunten Seidenschal, der in schimmernden Falten über der Rückenlehne eines Sessels am Fenster lag.
»Wer bist du?«
Jack trat rasch zu Alices Sessel. »Das ist meine kleine Schwester, Ma'am. Ihr Name ist Georgina. Sie liebt helle Farben und weiche Stoffe.« Jack rief: »Georgie, Liebes, komm her und sag Ihrer Ladyschaft guten Tag.«
Die verwitwete Baroness sog scharf den Atem ein. »Ihre Augen, du meine Güte, wie seltsam sie aussieht. Ein goldenes und ein blaues Auge. Wie seltsam. Und entzückend.«
Georgie hielt dem Blick stand und musterte die schöne Frau ihrerseits.
»Sie ist genauso entzückend wie ihre Augen«, erwiderte Jack. »Dürfen wir eine Weile bei Euch bleiben? Ich habe Georgie versprochen, sie dürfe sich Eure wunderschönen Zimmer ansehen. Ist das in Ordnung?«
In den nächsten zehn Minuten sagte Jack gar nichts mehr, sondern wartete einfach nur und sah zu, wie Georgie die Frau erst beäugte, dann langsam auf sie zutrat, sich neben ihren Sessel stellte und sie anblickte. Niemand konnte diesem Gesicht widerstehen, dachte Jack. Sie hatte Recht. Die verwitwete Baroness wickelte den Schal um Georgies Kopf und erzählte ihr, sie sei ein süßes junges Fräulein, das sein Haar vor dem heftigen Wind schützen müsse. Dann drapierte sie ihn ihr über die Schultern. Sie benahm sich ganz normal, wie jemand, der Kinder mochte. Jack drehte sich nicht ein einziges Mal zur Schlafzimmertür um.
Schließlich sagte sie: »Georgie, wenn es Ihrer Ladyschaft nichts ausmacht, könntest du doch mit dem Schal ans Fenster gehen und ihn hochhalten, damit die Sonne hindurchscheinen und bunte Muster auf deinen Arm zaubern kann. Mit der Sonne wird er zum Zauberschal.«
»Das habt Ihr gut gemacht«, sagte Alice. »Ihr habt das Kind mitgebracht, damit es Euren Weg ebnet. Sie ist nicht Levs Tochter?«
»Nein, sie ist meine Halbschwester. Nach Levs Tod hat meine Mutter noch einmal geheiratet. Ihr habt natürlich Recht. Genau deshalb habe ich Georgie mitgebracht. Ich hatte Angst, Ihr wolltet mich vielleicht nicht mehr sehen.«
»Wie kommt Ihr darauf, dass ich mich nicht immer noch weigere, über bestimmte Dinge mit Euch zu reden? Ich bin nicht besonders höflich, wie Ihr wisst. Das Kind ist entzückend.«
»Ja, sie gehört jetzt zu mir. Ihr Vater hat sie zwar nicht geschlagen, aber es war ihm egal, ob sie am Leben oder tot war. Bei mir ist sie jetzt in Sicherheit.«
»Was hält Gray von ihr?«
»Er tanzt nach ihrer Pfeife. Euer Sohn ist ein sehr guter Mann, Ma'am. Ich halte es nicht für richtig, dass Ihr ihn leiden lassen wollt. Es ist nicht gerecht ihm gegenüber. Und es ist auch nicht gerecht gegenüber mir oder Georgie.«
»Nichts im Leben ist gerecht«, entgegnete Alice mit kalter, harter Stimme. »Seht Euch an, was mir widerfahren ist, und dann sprecht wieder von Gerechtigkeit. Es wird Euch schwer fallen.«
»Ich sehe eine Frau, die eine Tragödie erfahren hat, so wie es vielen Frauen ergangen ist. Ich sehe eine Frau, die alles haben kann, was sie will, indem sie einfach nur darum bittet. Ich sehe eine Frau, die in all den Jahren, in denen sie hier faul in diesem hübschen Zimmer gesessen hat, wahrscheinlich nicht einen Finger gerührt hat. Ich sehe eine Frau, die sich der Gegenwart nicht stellen kann, weil sie es vorzieht, in der Vergangenheit zu leben, einer jämmerlichen Vergangenheit, um die Wahrheit zu sagen. Ich sehe eine Frau, die sich an das klammert, was ihr widerfahren ist, damit sie ihren eigenen Schmerz besser spürt, sich besser an ihr eigenes Elend erinnert und sich in ihrem Gefühl ergehen kann, missbraucht worden zu sein.
Ich sehe eine schöne Frau, die genauso gesund ist wie ich, und Gott weiß, dass ich furchtbar gesund bin, wahrscheinlich sogar gesünder, als es meiner Umgebung und mir zuträglich ist.« Sie trat ganz nahe an Alice heran. »Warum geht Ihr nicht einfach aus diesem verdammten Schlafzimmer heraus? Warum lauft Ihr nicht diese elegante Treppe hinunter und öffnet die Haustür? Warum reitet Ihr nicht mit Dr. Pontefract aus, Ma'am? Im Stall steht eine hübsche Stute namens Poet. Ihr würdet wunderbar zusammenpassen. Ah, ich sehe,
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