Scharade der Liebe
sich, Gray fluchte, und Lynch, der Kutscher, erstarrte in entsetztem Schweigen.
»Das ist ein verheißungsvoller Anfang«, sagte Colin mit Blick auf die finsteren Wolken am Himmel. Er half Gray, sich den Staub abzuklopfen und Jack aufrecht hinzusetzen, dann geleitete er seine Frau in die Kutsche, wobei er offenbar den Atem anhielt, bis sie endlich saß und den schwarzen Handschuh in der Hand hielt.
»Ich reite ein Weilchen«, meinte er und blickte seine Frau mit einer, wie Jack fand, seltsamen Mischung aus Wut und Verzweiflung an. »Gray, ich wünsche dir viel Glück.« Er hob die Hand zum Gruß und drehte sich zu einem Stalljungen um, der einen prächtigen schwarzen Hengst mit weißer Blesse am Zügel hielt. Als er im Sattel saß, rief er: »Ich habe deine Pferde hinten an die Kutsche gebunden. In Ordnung, Lynch, fahr los. Wir brauchen mindestens fünf Stunden bis London.«
Gray saß kopfschüttelnd neben Jack und hielt sie im Arm. Sinjun biss sich auf die Lippen und starrte auf ihre schwarzen Schuhe. Gray ergriff ihre Hand. »Was ist los, Sinjun?«, fragte er.
»Armer Colin«, meinte Sinjun. »Ich bin eine richtige Plage für ihn, Gray.«
»Unsinn. Er ist der glücklichste Bastard auf der Welt, und das weiß er auch, aber mit ihm stimmt etwas nicht, Sinjun.«
Sinjun hätte beinahe gelacht, aber es gelang ihr nicht so recht. »Nein, ich will mich nicht beklagen und dir etwas vorjammern. Seit wir wissen, dass ich ein Kind erwarte, hat er sich verändert. Er will mich nicht mehr aus den Augen lassen und ist dauernd um mich herum. Er ist so gar nicht mehr der Colin von früher. Es war so gut, ihn schreien zu hören und zuzusehen, wie er rot anlief im Gesicht. Das hat er zum ersten Mal gemacht, seit ich ihm gesagt habe, dass ich schwanger bin.
Aber genug davon. Erzählt mir lieber, warum Jack Durban gestohlen hat und aus London weg wollte.«
Jack erschauerte und drückte ihr Gesicht gegen Grays Jacke.
»Jack«, sagte Gray langsam, »wird all meine Fragen beantworten, wenn wir erst wieder in London sind. Nicht wahr, Jack?«
Jack schmiegte ihr Gesicht in Grays Armbeuge. Nach einer Weile hob sie es wieder, blickte Sinjun an und sagte: »Gray hat mir von deinen Brüdern Douglas und Ryder erzählt. Aber ich bin ihnen bisher noch nicht begegnet. Vielleicht lerne ich sie ja in London kennen.«
Sinjun lachte. »Sicher wirst du sie kennen lernen. Es ist immer ärgerlich, jemanden über Brüder und andere Verwandte reden zu hören, die man nicht kennt. Gray hat dir wahrscheinlich erzählt, dass Douglas der Älteste von uns Geschwistern ist. Er ist der Earl von Northcliffe und der beste aller Brüder. Er ist groß und dunkelhaarig wie Colin, und sein Lächeln ist so süß, dass es den kältesten Tag erwärmt. Alex, seine Frau, findet ja, er sollte häufiger lächeln, aber ich habe es gern, wenn er so streng und gebieterisch aussieht. Wenn er einen dann anlächelt, ist es eine richtige Belohnung. Douglas ist klug und loyal, und er nimmt seine Verantwortlichkeiten sehr ernst. Sein Familienbesitz, Northcliffe Hall, liegt in der Nähe von Eastbourne, an der Südküste Englands.
Ryder ist mein zweiter Bruder, ein frecher, äußerst charmanter Mann, so voller Leben und Lachen, dass du in seiner Gegenwart nur strahlen kannst. Anders als Douglas hat Ryder stets ein Lächeln auf den Lippen. Seit Jahren schon rettet er kleine Kinder und bringt sie nach Brandon House zu Jane, einer lieben Frau, die stärker als zehn Ochsen und genauso entschlossen wie Ryder ist, Kinder zu retten.
Dann komme ich. Ich habe einen Schotten geheiratet, weil ich ihn eines Abends im Drury Lane Theatre gesehen und mich auf der Stelle in ihn verliebt habe. Er brauchte eine reiche Erbin, und glücklicherweise war ich eine. Es ging alles ganz wunderbar aus, nun ja, nachdem Douglas und Ryder sich erst einmal an die Vorstellung gewöhnt hatten, dass ihre kleine Schwester sich in fleischlicher Hinsicht mit einem Mann einlässt. Colins erste Frau ist gestorben, und ich habe zwei wunderbare Stiefkinder - Philip, der jetzt zehn Jahre alt ist, und Dahling, die acht ist. Sind das genug Informationen für sie, Gray? Sie sieht ziemlich erschöpft aus.«
»O nein«, erwiderte Jack. »Erzähl mir noch mehr, Sinjun.«
»Nun, Douglas ist mit Alexandra verheiratet, die zwar nur halb so groß ist wie er, doch mindestens genauso stur. Douglas möchte der große Herrscher sein, und die Hälfte der Zeit lässt Alex ihn auch gewähren, was alle von uns, außer Douglas, nur
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