Scharade der Liebe
Kutschbock, ging zu den Pferden, streichelte ihre Köpfe und versprach ihnen Hafer und alles, was sie wollten, bis ans Ende ihres Lebens.
»Und jetzt«, sagte sie und packte die Zügel des Leitpferdes mit festem Griff, »gehen wir zurück und kümmern uns um Gray. Und wir gehen zu Fuß.«
Sie brauchte nur fünf Minuten, bis sie zu der Stelle zurückkam, an der Gray gestürzt war.
»Gray?«
Keine Antwort.
Durban stand im Schatten einer Ulme neben der Straße. Er hob den Kopf, als er ihre Stimme hörte.
»Durban, bleib stehen, Junge. Bleib einfach da stehen. Wir müssen Gray finden.«
Und sie fand ihn. Er lag bewusstlos am Fuß der Eiche.
15
Die kalte Luft wurde plötzlich noch kälter. Bis vor fünf Minuten waren nur vereinzelt weiße Wolken über den Himmel gezogen, aber jetzt bewölkte er sich zusehends und wurde grau.
Jack band die Pferde sorgsam an einer Eibe fest, dann rannte sie zu Gray, der unter der Eiche lag. Sie kniete sich neben ihn und suchte nach seinem Puls. Langsam und gleichmäßig, Gott sei Dank. Eine dünne Blutspur lief von seiner Stirn über seine linke Schläfe.
Sie hockte sich hin. Was jetzt?
Es begann zu regnen.
Durban wieherte.
Wie sollte sie einen ausgewachsenen Mann bis zur Kutsche schleifen und ihn hineinheben? Gray war zwar kein Riese, aber er war sehr groß. Sie hatte keine Wahl. Sie konnte es nur versuchen.
Sie packte ihn unter den Armen, um ihn zurück zur Straße zu ziehen. Es ging bergauf und war steinig. Sie würde es nicht schaffen.
Sie blickte Durban an.
Dann schlang sie seine Zügel um Grays Brust und schob Durban nach hinten. Sie war unendlich erleichtert, als Durban ein paar Schritte rückwärts machte - es funktionierte! Durban zog Gray bis zur offenen Kutschentür. Sie küsste das Pferd auf die Nase und erklärte ihm, es sei wunderbar. Dann starrte sie wieder auf ihren Verlobten.
Wie sollte sie ihn in die Kutsche bekommen?
Der Regen wurde stärker. Sie strich sich die nassen Haare aus dem Gesicht. Irgendwie musste sie ihn dazu bringen aufzustehen. Dann konnte sie ihn auf den Kutschenboden schieben. Sie kniete sich hin und schlug ihm ins Gesicht. »Gray, bitte, wach auf. Ich muss dich warm halten. Bitte, Gray.« Sie schlug ihm weiter ins Gesicht, aber er reagierte nicht.
Sie lehnte ihn, so gut es ging, neben den seitlichen Tritt. Keuchend stand sie auf.
»Durban, du musst wieder rückwärts gehen, aber ganz langsam. Wir müssen deinen Herrn hier hochziehen.« Durban machte einen Schritt nach hinten. Die Zügel strafften sich, und Gray wurde etwas angehoben. Sie kroch hinter ihn und schob ihn hoch, während Durban immer weiter rückwärts ging.
Jetzt stand Gray beinahe aufrecht. Höher ging es nicht. Sie löste Durbans Zügel von seiner Brust.
Dann hob sie ihr Gesicht zum Himmel und betete, wobei der Regen auf sie hernieder strömte.
Sie kletterte über ihn und kniete sich auf den Kutschenboden. Jetzt, dachte sie, jetzt! Sie holte tief Luft und zog mit aller Kraft.
Sie bekam ihn nicht hoch. Fast hätte sie vor Enttäuschung aufgeschrien. Stattdessen sagte sie einmal >verdammt< und spürte sogleich den Geschmack von Rüben auf der Zunge. Sie sprang aus der Kutsche, holte wieder tief Luft und versuchte, ihn von unten hinaufzuwuchten.
Er war zu schwer für sie. Durban wieherte, schob seine Nase unter Grays Hinterteil und hob ihn hoch. Langsam glitt Gray in die Kutsche. Sie und Durban hatten es geschafft.
Rasch deckte sie ihn mit dem Sack zu. Sie schloss die Kutschentür, band Durban hinten an der Kutsche fest und kletterte wieder auf den Bock. Dieses Mal ruckte sie nur ganz leicht an den Zügeln und flüsterte: »Los, Jungs! Hier muss irgendwo ein Ort sein. Bitte findet ihn für mich.«
Der kleine Marktflecken Court Hammering war wie ausgestorben, wegen des Regens war kein Mensch zu sehen. Jack lenkte die Pferde vorsichtig und langsam über die schlammige Straße. Endlich sah sie ein Gasthaus vor sich - König Edwards Lampe.
Im Hof war niemand. Kein Wunder. Sie sprang vom
Kutschbock und lief hinein. Plötzlich tauchte aus dem kleinen Schankraum links eine sehr große Frau auf. Sie sah so aus, als äße sie mit Vergnügen Bretter zum Mittagessen und zum Nachtisch vielleicht Nägel. Sie war nicht dick, nur sehr groß und sehr kräftig. Und sie war eigentlich auch sehr hübsch, wie Jack feststellte, mit wunderschönen hellblonden Haaren, die sie zu zwei Schnecken über den Ohren gerollt hatte. Jack blickte auf die Fliesen. »Es tut mir Leid«, sagte sie.
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