Scharade der Liebe
verheiratet? So etwas begriff er nicht.
»Nein, Horace, er muss sich irren.«
»Ihr nehmt jetzt erst einmal ein schönes heißes Bad, dann sehen wir weiter.« Er zog an der Klingelschnur. Es dauerte eine Weile, bis die Lakaien mit den Eimern voll heißen Wassers für die Wanne kamen. Für die beiden Männer, die wartend im Ankleidezimmer standen, dauerte es eine Ewigkeit.
Gray wusste, dass er sich wie ein Feigling benahm. Er konnte jetzt einfach nicht damit umgehen, nicht jetzt. Er verließ das Haus, als man ihm sagte, dass Jack sich für den Abend umzöge. Vage erinnerte er sich daran, dass er sie zu einem Musikabend begleiten sollte, aber der Name des Gastgebers war ihm entfallen. Er hielt sich so lange versteckt, bis Horace ihm versicherte, dass auch die Großtanten sich im Salon aufhielten und mit Georgie spielten, während Dolly, immer noch ganz aufgeregt von ihrem nachmittäglichen Ausflug, ihnen zusah. Mr. Quincy war in der Küche und kochte Tee für die Großtanten.
Gray ging zu Whites, setzte sich allein an einen Tisch und bestellte etwas zu essen. Aber er brachte keinen Bissen hinunter. Er hatte das Gefühl, er müsse sich übergeben, wenn er es versuchte. Er trank noch ein Glas Brandy. Seltsam, der Brandy schmeckte immer noch kalt. Fast eisig. Dann verließ er Whites und wanderte draußen herum, wie er es schon den ganzen Nachmittag getan hatte. Es war schon nach Mitternacht, als er den Fluss erreichte. Er setzte sich ans Ufer und starrte über das dunkle Wasser zu den Booten. Die Mondsichel hing klar und hell über dem Fluss.
Seine Halbschwester. Nein, das konnte nicht wahr sein.
Er sah Lord Burleigh ganz deutlich vor sich und hörte seine schwache Stimme, während er traurig sprach: »Es tut mir so Leid, Grayson. Du nennst sie Jack. Weißt du, wie ihr Vater sie nennen wollte?«
Gray schüttelte den Kopf. Doch dann fiel es ihm wieder ein, und er sagte langsam: »Graciella.«
»Ja, damit es deinem Namen möglichst nahe kam. Grace ... Gray. Aber seine Frau mochte den Namen nicht. Ob sie einen Verdacht hatte? Ich weiß es nicht. Er hat nie etwas gesagt. Das kleine Mädchen wurde jedenfalls auf Wunsch seiner Frau Winifrede getauft.«
Gray begann zu lachen. Er schlug sich mit den Händen auf die Schenkel, so sehr musste er lachen. Nach Atem ringend, sagte er schließlich: »O Gott, wisst Ihr, was das auch bedeutet, Mylord? Es ist ja wohl immer etwas Gutes an einer schlimmen Situation. Und an dieser auch. Es bedeutet, dass dieser elende Bastard gar nicht mein Vater war. Ich habe nichts von dem Blut dieses Ungeheuers in mir. Nun, das ist doch immerhin etwas!«
»Nein, der Mann, der dich aufgezogen hat, hatte keinen Anspruch auf dich.«
»Er war ein Tier, wisst Ihr«, sagte Gray langsam. »Er hat meine Mutter geschlagen.«
»Ja, ich weiß. Ich konnte nichts dagegen tun. Ich weiß alles darüber, mein Junge. Ich habe nur nie einen Grund gesehen, darüber mit dir zu reden, auch nicht mit deinem wirklichen Vater, Thomas Levering Bascombe, Baron Yorke. Ich weiß noch, dass Thomas zu mir kam, kurz nachdem der Mann deiner Mutter gestorben war. Er wollte zu deiner Mutter gehen und ihr sagen, dass er jetzt endlich für sie sorgen würde und dass er sich, wenn sie es wünschte, auch um dich, seinen Sohn, kümmern würde. Er wollte ihr versichern, dass er diskret vorgehen würde, dass niemand je etwas erraten würde, dass er nie zulassen würde, dass auch nur der Hauch eines Skandals, dich, den Baron Cliffe, streifen würde.
Dann wurde deine Mutter krank, und es war zu spät. Thomas war tief betrübt. Er empfand große Schuldgefühle, und er war traurig, weil du sein Sohn warst und nie erfahren würdest, dass er dein Vater war. Ich habe noch nie einen so gebrochenen Mann gesehen.
Ein paar Monate später kam Thomas wieder zu mir und bat mich, für den Fall seines Todes Winifredes Vormundschaft zu übernehmen. Ich fragte ihn erstaunt nach dem Grund. Er sagte, er habe bemerkt, dass das Leben eine zerbrechliche Angelegenheit sei. Er sagte, er traue seiner Frau nicht, weil sie unfähig sei, Menschen richtig zu beurteilen. Und wenn er sterben sollte, wüsste der Himmel, was für einen Mann sie dann heiraten würde.
Er lachte und sah dabei so aus, als würde er am liebsten weinen. Er sagte: >Sieh dir doch nur an, wen sie sich als ersten Ehemann ausgesucht hat. Ja, Charles, sieh mich nur an!<
Es war ein Schock, als Thomas Bascombe, dein Vater, im Jahr darauf starb. In diesen letzten Monaten hatte er darüber
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