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Scharade der Liebe

Titel: Scharade der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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Alle paar Minuten steckte sie den Kopf wieder durch die Tür, um sich zu vergewissern, dass er noch da war. Aber sie sagte nichts.
    Kurze Zeit darauf hörte er, wie sie bei ihrer Zofe Frühstück bestellte, das auf ihr Zimmer gebracht werden sollte.
    Ihr Schlafzimmer. Er schloss die Augen.
    Er drückte die Hände zwischen die Knie und starrte in das knisternde Feuer. Sie stand neben ihm und hatte ihre Hand leicht auf seine Schulter gelegt. Er wollte ihre Hand wegschieben, sie anschreien, dass sie ihn nicht berühren solle. Seine Schwester durfte ihn so nicht berühren. Er erstarrte, aber er schwieg. Schließlich blickte er sie an.
    »Sehe ich genauso schlimm aus wie du?«, fragte sie.
    Er lächelte kurz. »Ja«, erwiderte er. »Ich glaube schon. Willst du dich nicht setzen?« Die ganze Nacht über, während er seine Dämonen bekämpft hatte, hatte sie gegen die Angst um ihn angekämpft, dachte er. Und er hatte es zugelassen. Dafür gab es keine Entschuldigung, aber er wusste genau, wenn es wieder passieren würde, würde er noch einmal ganz genauso handeln.
    »Nein«, sagte sie, »ich glaube, ich bin beherrschter und kann mit der Situation, die ich überhaupt nicht verstehe, besser umgehen, wenn ich stehe.« Dann wartete sie wieder schweigend.
    »Es ist etwas Schlimmes, nicht wahr, Gray?« Furcht schwang in ihrer Stimme mit. »Nein, es ist schlimmer als schlimm.« Ihre Stimme klang jetzt traurig, so als wisse sie, dass ihre Welt zerbrochen war. Sie schluckte.
    Nicht zum ersten Mal, seit er gestern Lord Burleigh besucht hatte, wünschte Gray sich inbrünstig, der Mann wäre einfach gestorben und hätte sein Geheimnis mit ins Grab genommen. Aber er war nicht gestorben. Und Gray wusste es nun.
    Und wenn Lord Burleigh jetzt starb? Wusste sonst jemand davon?
    Gray hielt das für unwahrscheinlich. Wenn Burleigh jetzt starb, brauchte Gray sein Wissen nur für sich zu behalten. Er konnte sein Leben so weiterführen, als sei nichts geschehen.
    Aber er wusste es. Gott, er wusste es. Und das Wissen veränderte alles.
    »Gray?«
    Sie hatte etwas gesagt. Er blickte auf. »Ja, Jack?«
    Er sah es in ihren Augen, diesen schönen blauen Augen. Sie wollte es gar nicht wissen. Sie wusste tief im Innern, dass es etwas ganz unaussprechlich Schreckliches war, und wollte es gar nicht wissen.
    »Nichts. Hier ist unser Frühstück.«
    Als sie sich gegenübersaßen und jeder eine Tasse Kaffee in der Hand hielt, sagte Gray: »Es sieht so aus, als ob es heute klar würde. Im Morgengrauen war es noch wolkig, aber jetzt ist die Sonne herausgekommen. Ja, es wird ein schöner Tag werden.«
    »Ja«, erwiderte sie. »Sonnig.«
    Er hatte keinen Hunger. Sie auch nicht. Eine Weile beschäftigten sie sich mit ihren Kaffeetassen, dann sprang Jack auf und sagte: »Ich muss nach Georgie sehen.«
    »Nein, Jack, bitte nicht. Bleib hier. Ich bin weggelaufen, und wahrscheinlich wäre es nur gerecht, wenn ich dir das Gleiche gestatten würde, aber das kann ich nicht. Wir müssen miteinander reden.«
    »Ich habe nichts zu sagen«, erwiderte sie und blieb neben ihrem Stuhl stehen. »Nun, doch. Die Tanten fahren heute wieder nach Hause. Sie haben sich gestern große Sorgen um dich gemacht. Georgie auch.«
    »Sie werden mir fehlen«, sagte er. Er packte die Tischkante so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. »Erinnerst du dich an den Brief, den Quincy mir gegeben hat, als ich dich die Treppe hochgetragen habe?«
    Sie nickte.
    »Ich habe ihn gestern Morgen gelesen. Er war von Lord Burleigh. Er schrieb mir, er müsse mich dringend sprechen. Also bin ich hingegangen und habe mir angehört, was er zu sagen hatte.«
    Sie sah den Schmerz auf seinem Gesicht, aber sie konnte ihn sich nicht erklären. Sie wollte nichts mehr hören. Zitternd setzte sie sich wieder.
    »Es tut mir sehr Leid, dass ich gestern nicht mehr nach Hause gekommen bin, aber ich konnte einfach nicht. Wahrscheinlich bin ich ein Feigling. Schwach, jämmerlich. Es war ein solcher Schock, ich wusste nicht, was ich tun sollte, und ich musste zuerst einmal selbst damit fertig werden.«
    Sie saß still da, wie erstarrt.
    Er konnte es nicht mehr länger zurückhalten. »Er sagte mir, dass wir beide den gleichen Vater haben, Jack. Thomas Levering Bascombe war sowohl dein Vater als auch meiner.«
    Sie starrte ihn an und öffnete den Mund, als wolle sie etwas sagen. Nein, sie hatte ihn bestimmt nicht richtig verstanden. Ihr Geist war benebelt, und deshalb hatte sie wahrscheinlich etwas Unglaubliches und

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