Scharfe Pranken
sich Bo von ihr zurück. Er leckte sich die Lippen, so als könne er sie immer noch schmecken, und starrte auf ihren Mund. Hatte er seine Augen überhaupt geschlossen, als er sie geküsst hatte? »Um ehrlich zu sein«, murmelte er, »bin ich mir nicht sicher, ob das richtig war oder nur dafür gesorgt hat, dass mir dieser Abend unendlich lange vorkommen wird – falls ich das hier erst vor deiner Haustür wiederholen darf.«
Wenn sie hätte sprechen können, hätte sie ihm absolut zugestimmt. Vielleicht sollte sie einfach all ihre neu aufgestellten Regeln hinsichtlich fester Beziehungen wieder vergessen. Vielleicht sollte sie einfach alle Vorsicht außer Acht lassen, die Pasta vergessen, den riesigen Hybriden mit in ihre viel zu winzige Wohnung nehmen und von ihrem sehr stabilen Bett Gebrauch machen. Sicher, das war nicht ihre Art, aber … aber …
Aber, Gott, sie wollte es wirklich.
»Bo …«, sagte sie und nahm seine Hand.
Das Geräusch von zersplitterndem Glas erfüllte Bos viel zu großen Wagen. Die mächtige Brust und die Schultern des Hybriden sanken in sich zusammen, und Blayne wurde gegen die Beifahrertür gedrückt und von Bos Körper eingeklemmt.
Sie jaulte vor Schmerzen auf, als ihr Hinterkopf gegen die Tür knallte, und rüttelte Bo an der Schulter. »Bo?«, rief sie. »Bo? Kannst du mich hören?«
Schrecklich verwirrt lehnte Blayne sich ein Stück nach vorn. Das Fenster war nicht völlig eingeschlagen. Es befand sich nur ein recht großes Loch darin, und das restliche Glas war von Rissen durchzogen. Sie sah wieder auf den Hybriden hinunter, der auf ihr lag, und entdeckte eine Art Metallspitze, die aus seiner braun-weißen Mähne herausragte. Blayne streckte ihren Arm aus und griff danach. Sie zog daran, bis der Pfeil aus seiner Haut glitt. Dann hob sie ihn hoch und starrte ihn an.
»Scheiße …«
Die Beifahrertür wurde aufgerissen, und da Blayne noch immer daranlehnte, kippte sie mit ihr nach hinten. Als sie die schwarzen Skimasken sah, wusste sie, dass sie in Schwierigkeiten steckte.
Irgendjemand rammte ihr eine Nadel in den Hals, und sie spürte, wie Flüssigkeit in ihre Adern gepresst wurde. Sie schrie auf, und ihr erster Instinkt war es, sich zu wehren. Dann erinnerte sie sich wieder daran, wie schnell Bo umgekippt war, sank in sich zusammen und schloss die Augen.
Hände grabschten nach ihren Armen und Beinen und hoben sie aus Bos Wagen. Sie spürte, wie sie zu einem Fahrzeug mit laufendem Motor getragen wurde. Sie wusste, dass es ein Lieferwagen war, weil sie sie problemlos hineinwerfen und zu ihr einsteigen konnten. Dann hörte sie, wie eine männliche Stimme fragte: »Sollen wir den anderen umbringen?«
»Nein, lasst ihn.«
Eine Woge der Erleichterung schwappte durch Blaynes Körper, bevor sie auf eine Bank gesetzt und die Türen des Lieferwagens zugeknallt wurden. Der Wagen raste davon, und Blayne gab sich alle Mühe, nicht in Panik zu geraten. Sie musste ruhig bleiben und rational handeln. Es fiel ihr nicht leicht, da sie das Gefühl hatte, in der Falle zu sitzen, so als bewegten sich die Wände des Lieferwagens auf sie zu. So als wäre sie bereits in einem Käfig eingesperrt.
Und wenn es eines gab, was Blayne hasste, dann war es das Gefühl, in der Falle zu sitzen.
Sie war weg. Im Gegensatz zu letztem Mal war sie allerdings nicht vor ihm weggerannt. Sie war entführt worden. Und er wollte sie zurück. Er wollte sie sofort zurück.
Bo Novikov setzte sich auf dem Fahrersitz auf. Er konnte die Vollmenschen noch immer riechen, die sie ihm weggenommen hatten, und wurde von unbändiger Wut über ihre Tat erfüllt. Er zog seine Oberlippe hoch und entblößte seine Reißzähne, die dreimal größer waren als die irgendeiner anderen Löwen- oder Bärenkreuzung seit prähistorischen Zeiten. Dann stieß er die Fahrertür auf, stieg aus seinem Wagen und fokussierte sofort die Rücklichter des Lieferwagens, die er vor sich in der Dunkelheit erkennen konnte. In diesem Lieferwagen befand sich Blayne. Er machte ein paar Schritte nach vorn und wollte ihr gerade hinterherrennen, als er etwas auf seinem Rücken spürte. Es fühlte sich an wie eine Reihe kleiner Stromschläge, so als sei er über einen dicken Teppich geschlurft und hätte dann eine Türklinke aus Metall angefasst. Es war lästig, aber mehr auch nicht.
Er drehte sich zu den beiden Männern um, die hinter ihm standen. Ihr Lieferwagen parkte quer über der leeren Straße, für den Fall, dass Bo versuchen sollte, mit seinem
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