Schartz, S: Elfenzeit 15: Die Goldenen Äpfel
bin, und wärst nicht so töricht gewesen. Du kannst mich nicht vernichten. Dazu bedarf es einer Macht, die sehr viel größer ist als die deine. Und jetzt habe ich genug von dir, du missratener göttlicher Spross.«
»Wenn du mir etwas antust, wird mein Vater mich rächen!«, schrie Telas panisch auf.
»Wird er nicht, denn er hält dich für einen Nichtsnutz. Außerdem ist er gerade mit deiner Schwester Lamia beschäftigt.«
»Mit wem?«
»Du wirst sie nie kennenlernen. So. In deinem letzten Atemzug wirst du doch einmal nützlich sein und mir deine Lebenskraft geben – und zwar alle.«
Telas schrie wie am Spieß, als der Getreue seine Hand auf die Stirn des Göttlichen legte und ihm mit einem einzigen, grausamen Ruck die gesamte Lebenskraft entriss. Sie glühte kurz in der schwarz behandschuhten Hand auf, dann war sie absorbiert.
Die übrigen Anwesenden drängten sich zitternd zusammen, während sich der Getreue daraufhin ihnen zuwandte.
In beispielloser Rachsucht wütete er unter ihnen. Kein Einziger entkam, er entriss ihnen allen vollständig die Energie und nahm sie in sich auf.
Zurück blieben ausgemergelte, vertrocknete Körper, die wirkten, als wären sie schon sehr lange tot und mumifiziert. Erst nachdem auch der Letzte leer gesaugt war, gab sich der Getreue zufrieden und kam zur Ruhe. Sein Körper war geheilt, das Gift ausgeschieden.
Doch die Schwäche war kaum geschwunden. Er hatte nicht viel gewonnen.
Die magische Mauer um den Tempel löste sich auf, und der Getreue taumelte nach draußen. Die Nacht war beinahe vorüber. So lange hatten seine Torturen demnach gedauert, denn zuletzt erinnerte er sich an die Abenddämmerung. Am Himmel kündigte sich der erste Silberstreif an, und die Schatten der Nacht wurden grau. So viel kostbare Zeit vertan.
Erschöpft sank der Getreue in die Knie, sein Bewusstsein drohte erneut zu erlöschen. All die neue Lebenskraft reichte nicht. Er war wohl schon zu lange, zu weit getrennt von seiner Aufgabe. Die Verbindung schien gänzlich abgerissen zu sein. War es zu spät?
»Wurde auch langsam Zeit, dass du rauskommst«, erklang eine heisere, wie aus einer Totengruft hallende Stimme neben ihm, die ihm nur allzu vertraut schien. Ein eiskalter Hauch umwehte ihn. »Ich stehe mir hier seit Stunden die Beine in den Bauch ...«
Der Getreue wandte müde den Kopf. Der Redner lehnte an einer Tempelsäule, ein Bein angewinkelt, die Arme vor der Brust verschränkt.
»Hattest du eine schöne Nacht?«, fragte der Getreue sarkastisch.
»Schön anzuschauen, ja, verbracht allerdings ziemlich sinnlos, weil ohne Taten. Was hat so lange gedauert?«
»Vielleicht hättest du mich unterstützen können?«
»Du weißt, dass mir das nicht möglich ist. Nur wir beide dürfen aufeinandertreffen, allein.«
»Ja.«
Er konnte sich nicht mehr halten, ließ sich fallen, rollte sich auf den Rücken und starrte zum Himmel hoch. »Warum bin ich so schwach?«, flüsterte er. »Dort drin liegen Dutzende Leichen. Normalerweise hätte einer oder zwei genügt ...«
»Du hast es bereits richtig vermutet – du bist zu weit von deiner Zeit entfernt.« Der andere kam näher und kniete sich neben ihn. »Kannst du dich inzwischen erinnern?«
»Nein ... nur bruchstückhaft ... und besser an die Vergangenheit als das, was auf Island geschah ... Wie lange mag es her sein ...«
»Eine interessante Frage angesichts deines Weges hierher.«
Der Getreue drehte den Kopf. »Warum bist du hier?«
Sein Gesprächspartner machte eine unbestimmte Geste. »Man hört so dies und das. Töchter, die noch gar nicht geboren sind, kehren zu ihren Vätern zurück, Kentauren füllen einen See mit ihren Tränen, und irgendwelche Verrückte rennen schreiend durch die Gegend und warnen vor dem Basilisken. Da braucht man nur der Spur zu folgen und weiß, wen man im Zentrum solcher Geschehnisse findet.«
»Wieso weißt du, dass ich in die Vergangenheit reise?«, fuhr der Getreue fort. Manchmal war er sich selbst ein Rätsel.
»Siehst du, das ist auch eine gute Frage«, sagte der andere erfreut. »Ich hatte das Gefühl, als sollte ich die Geistersphäre aufsuchen; und was finde ich da? Deinen Abdruck. Hier und da und dort, und ich erkenne, du reist einen weiten Weg und kannst den dunklen Turm nicht erreichen. Darin befindet sich allerdings ein Anker ...«
Der Getreue fuhr hoch und packte sein Gegenüber vorn am Umhang. »Was sagst du? Ein Anker? Von wem?«
»Sehr beunruhigend«, antwortete der andere, löste sanft seinen
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