Schartz, S: Elfenzeit 19: Kampf um Earrach
zusammen, was ihm nur gelang, weil er in München vor wenigen Monaten bedeutend Schlimmeres gesehen und durchgemacht hatte. Außerdem fürchtete er Cagliostro mehr als die Ratten. Aber es war hart, sehr hart, sich zu beherrschen. Vor allem, da diese Biester sich keineswegs so scheu verhielten, wie sie normalerweise waren, sondern sich nun halb aufrichteten und ihn von oben bis unten taxierten. Vermutlich schätzten sie seinen Fleischgehalt ab. Oder das Fett? Fett war nahrhafter für diese mageren Tiere. Toms Kehle schnürte sich zu, und er fasste unwillkürlich an seinen Bauch. Immerhin, die Abenteuer der letzten Monate hatten ihm einiges an Gewicht weggefressen, und er fing sogar an, sportlich zu werden. Längst entwickelte er Muskeln, von denen er gar nicht gewusst hatte, dass er sie besaß.
Eher zäh als saftig
, dachte er und richtete den Blick mutig auf die funkelnden Rattenaugen.
Ich bin viel größer als ihr
, sollte das heißen.
Und zu allem entschlossen
.
Tom wusste nicht, ob die Ratten ihm den Bluff abnahmen. Allerdings hatte er jegliche Chance auf ein Belauschen der Unterhaltung verpasst, denn der Elf verschwand soeben in einem Seitengang. Wütend duckte Tom sich tiefer – anscheinend in einer Haltung, die die Ratten beeindruckte. Anstatt ihn anzuspringen, zogen sie sich zurück. Dann hielten sie inne und richteten die heftig zuckenden Nasen nach oben. Tom hörte es auch. Cagliostro kam näher.
Der Magier ging geschmeidig auf leisen Sohlen, doch die Absätze seiner Halbstiefel erzeugten ein sacht schleifendes Geräusch, das in der Tiefe gut zu hören war.
Eine Ratte sprang auf einen Stein und reckte sich gerade hoch genug, um über die Kante zu blicken. Danach stieß sie einen schrillen Alarmruf aus, und die gesamte Meute wuselte in hektischen Sprüngen Richtung Tunnel davon.
Tom duckte sich und presste sich so eng wie möglich an die Wand in der Hoffnung, dass der Vorsprung ihm genügend Deckung gab.
Fast direkt über ihm blieb Cagliostro stehen, und Tom hielt den Atem an. Er konnte kein Geräusch hören; der Magier blieb völlig reglos.
Nach einer endlos scheinenden Zeit sprach Cagliostro plötzlich. Leise und scharf.
»Du bist hier. Ich kann dich nicht sehen, nicht aufspüren, aber ich
weiß
es.« Ein schabendes Geräusch zeigte an, dass er seine Haltung veränderte. Er brauchte sich nur hinzuknien und über den Vorsprung zu blicken. Oder er sprang in den Gleisgraben …
»Keine Sorge«, fuhr die heiser flüsternde Stimme fort. »Ich werde dein Geheimnis wahren. Du gehörst mir ganz allein. Denkst du, ich habe Tokio vergessen? Meine Rache wird fürchterlich sein, mein Freund. Du störst meine Kreise kein zweites Mal.«
Toms Adamsapfel hüpfte auf und ab. Vergeblich versuchte er zu schlucken, denn sein Mund war völlig ausgetrocknet.
»Du und ich«, schloss Cagliostro, dann entfernten sich seine Schritte.
Der Journalist wartete nicht ab, ob der Magier ihm eine Falle stellte. Er hatte genug. Nichts wie weg! Panisch stemmte er sich aus dem Graben hoch und rannte in den Gang, der zu Adelaides Wohnung am Rand von Down führte.
Ohne weitere Hindernisse erreichte Tom die Felsenhöhle, wo er von Anne schon voller Ungeduld erwartet wurde. Rocky und Chad waren ebenfalls da sowie Weyland und Rufus, die das zweigeteilte Dove nach wie vor gegen Catan verteidigten.
»Das wurde aber auch Zeit!«, begrüßte Anne ihn.
»Alles in Ordnung, Kumpel?«, fragte Robert besorgt. »Du bist ganz blass …«
In Wirklichkeit war Tom schweißgebadet und fühlte sich wie im Fieber. Keuchend ließ er sich auf einer Matratze nieder, die Weyland besorgt hatte. »Ich brauch erst was zu trinken«, bat er.
Die fürsorgliche Adelaide gab ihm eine Flasche, deren Inhalt ihm beinahe die Kehle verätzte, aber er tat gut. Tom hustete, räusperte sich und fing mit seinem Bericht an.
»Catans Leute gehen auf organisierten Beutefang in der Oberwelt. Sie bewegen sich dabei parallel durch die ineinander fallenden Schichten, sodass die Menschen nichts davon merken. Beispielsweise gehen sie in ein Kaufhaus und leeren dort die Ständer, beladen sich mit Klamotten, Decken und so weiter und gehen wieder raus. Die Verkäuferinnen melden unverzüglich die Lücken, nur ist nichts auf den Überwachungskameras drauf. Die Polizei ist zwar präsent, aber es hilft nichts.«
»Und wie hast du dich dort bewegt?«, fragte Robert dazwischen.
»Genauso wie die Diebe«, antwortete Tom. »Es ist gar nicht schwer, und meine Gabe hindert mich nicht
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