Schartz, S: Elfenzeit 20: Der Atem der Unsterblichkeit
Stimmung war heiter und gelöst.
Irgendeine Erinnerung daran musste sich im kollektiven Gedächtnis der Menschen – und der Elfen – erhalten haben, sonst hätte Platon nicht den Mythos Atlantis begründet, der sich bis in Nadjas Zeit hielt und von Wissenschaftlern, Mythenforschern und Esoterikern gleichermaßen analysiert wurde.
Diese Welt war ein Traum, der lebendig geworden war. Vielleicht hatte so einmal das Reich des Priesterkönigs Johannes ausgesehen, von dem Nadja nur noch Ruinen vorgefunden hatte. Es tröstete sie, dass Robert und Anne nun dort waren, um es wiederaufzubauen. Vielleicht wurde daraus ein neues Atlantis …
Kinder liefen lachend über eine Wiese auf der linken Seite. Skurrile Geschöpfe waren dabei, kleine Kentauren, Katzenwesen und »normale« Menschen, Elfen und Mischblütige. Es gab keine Vorurteile, keine Abgrenzung. Und vor allem fiel es sogar dem einen oder anderen Erwachsenen ein, sich plötzlich darunterzumischen und albern mitzumachen.
Ein wenig entfernt entdeckte Nadja göttliche Wesen, erkennbar an ihrem einzigartigen Glanz, die still lächelnd unter Sterblichen und Unsterblichen wandelten. Es wäre sicher schön gewesen, ein wenig zu bleiben und dieses Reich zu ergründen. Doch Nadja gehörte nicht nach Atlantis, nicht in seine Epoche, und würde nur Unruhe und Störung bringen. Sie entstammte einer anderen Zeit mit eigenen Regeln und Gesetzen, die Nadja niemals ganz würde ablegen können.
Somit wäre endlich geklärt, warum Atlantis unterging – Nadja Oreso war zu Besuch!
, dachte sie selbstironisch, aber auch ein wenig grimmig.
Sie kam über einen Hügel, von dem aus sich auf der rechten Seite weites Buschwerk erstreckte, das in allen Farben blühte. Tausende juwelenglitzernder Vögel und leuchtender Schmetterlinge schwirrten dort herum, und der Duft war betörend. Ebenso die zarten Stimmen der Nektarsänger im Gezweig. Einmal nur daran nippen …
Nadja rief sich streng zur Ordnung und richtete den Blick nach vorn. Nur noch hundert Meter, dann hatte sie den Durchgang erreicht und konnte den Verlockungen hoffentlich den Rücken kehren.
Abrupt blieb sie stehen. Jemand kam gerade aus dem Dunst heraus. Sie duckte sich abseits des Weges, um erst einmal zu beobachten, wer das sein mochte, bevor sie sich wieder offen zeigte. Zwei Besucher einer anderen Welt oder Zeit an einem Tag, das wäre zu viel des Zufalls. Vielleicht war dieser Jemand auf der Suche nach ihr.
Dann blieb ihr der Mund offen stehen.
»Weiberheld«, murmelte Nadja, sobald sie den Getreuen erkannt hatte. Er saß auf einem großen Geschöpf, das wie ein Löwe aussah, jedoch ein menschliches Gesicht und drei Zahnreihen sowie einen Skorpionschwanz besaß. Ein Mantikor, erkannte Nadja staunend. Sie hatte zwar schon viele fabelhafte Geschöpfe gesehen, doch Mantikore nahmen in der menschlichen Mythenwelt eine Sonderstellung ein, genau wie die Sphinxe. Und dieses Geschöpf mit seinem leuchtenden rotgoldenen Fell und der wallenden Mähne war imposant. Das passende Reittier für den finsteren Mann.
Vor dem Getreuen saß eine Frau mit Schlangenkopf und Schlangen statt Haaren, deren Körper allerdings von perfekter menschlich-weiblicher Anmut war. Der Arm des Getreuen hielt sie fest umfangen, und sie lehnte sich sichtlich behaglich an ihn.
Nadja begriff sofort, was das zu bedeuten hatte, denn sie entsann sich des erst kürzlich geführten Gesprächs mit ihm. »Also ist er nach seiner Vernichtung auf Island hierher gegangen, um Heilung zu finden. Kann mir schon vorstellen, auf welche Weise er sie gefunden hat.« Nadja runzelte die Stirn, wütend auf sich selbst, weil sie eifersüchtig war.
Sollte sie sich bemerkbar machen? Aber wahrscheinlich hatte sie das nicht getan, andernfalls hätte der Getreue in Warqla etwas darüber gesagt.
Verwirrend war das schon. Eben erst war sie einer Inkarnation des Verhüllten begegnet, die sich nicht an sie erinnerte. Und nun erblickte sie hundert Meter entfernt den Getreuen aus ihrer Zeit, allerdings ein paar Monate vor ihrer Reise nach Siwa. Was würde wohl passieren, wenn sie auf ihn zulief? Würde sich der ganze Zeitverlauf ändern?
Spätestens in Warqla hätte er etwas darüber gesagt, wenn wir uns hier begegnet wären. Er hat mich zwar gewarnt, auf meine Schritte zu achten, aber nicht im Zusammenhang mit seiner eigenen Reise. Also hat er mich nicht bemerkt, und ich darf die Linie nicht stören. Ich bin in der Vergangenheit, sehe dort mit ihm aber die Zukunft, denn
Weitere Kostenlose Bücher