Schartz, S: Elfenzeit 20: Der Atem der Unsterblichkeit
Bissen zartem Wildbret mit Orangensoße und einer Art Nusskuchen, den sie in einen Honig-Kräuter-Dip stippte. »Oh mein Gott, so gute Sachen hab ich noch nie gegessen …«
»Demokratie …« Der Getreue dachte nach. »Ah, ich erinnere mich. Die Atlanter haben sie den Griechen gebracht, die den Begriff prägten. Oder vielmehr werden sie es noch. Ich bin dabei … Manchmal ist es nicht einfach, die richtige Reihenfolge zu erkennen.«
»Und manchmal erinnerst du dich gar nicht, zum Beispiel an mich …«
»Nicht jeder von uns ist überall oder verfügt über Gesamtwissen. Manches müssen wir zudem vor uns selbst verbergen, um die Linie zu wahren.«
»Ähm … aha. Und wie war das mit der … Demokratie?«
»Sie schien mir einen Versuch wert zu sein. Eine neue Entwicklung. Und ich denke, es wird funktionieren.«
»Gewissermaßen«, stimmte sie zu. »Die Regierung meines Landes basiert auch auf Demokratie, doch so wirklich regiert das Volk nicht mehr.«
»Das war der Grund, weswegen ich hier etwas änderte: weil König und Volk sich immer weiter voneinander entfernten. Korruption und Dekadenz treiben ein Reich in den Abgrund. Ich will den perfekten Staat schaffen.«
Nadja schüttelte den Kopf. »Das wird dir nicht gelingen. Aber ich finde es löblich, dass du es versuchst. In meiner Zeit trittst du als Tyrann auf.«
»Mit der Zeit wird man bei dieser schweren Arbeit eben griesgrämig, und gerade die Menschen sind sehr schwierig zu leiten. Immer muss ich mich ihnen anpassen, um bestehen zu können. Zuerst haben sie Visionen, dann Gotteswahn.« Der Getreue richtete seine dunklen Augen auf Nadja. »Welche Bedeutung hast du für mich?«
Diese Frage hatte sie schon befürchtet und bisher keine Antwort darauf gefunden. Schließlich sagte sie: »Eine große, glaube ich. Sonst wäre ich jetzt nicht hier bei dir. Nur leider offenbarst du dich mir nicht.«
»Ich kann dir nicht offenbaren, was du schon weißt.«
Sie warf in gespielter Verzweiflung die Hände hoch. »Na gut. In dieser Hinsicht seid ihr beide genau gleich.«
Nadja trank den Wein, der nicht mit dem Gesöff zu vergleichen war, das sich in ihrer Zeit »Wein« nannte, und schenkte sich nach. Dieser Tropfen verhielt sich zu dem Gekelterten ihrer Zeit wie Platin zu Nickel. Auch das Essen regte Geschmacksknospen an, deren Existenz Nadja nicht erahnt hätte. Sie hatte keine vergleichenden Worte für das, was sie genoss. »Darf ich ein paar Fragen stellen?«
»Sicher. Vielleicht bringt uns das der Lösung deines Problems näher.«
»Wieso kann ich die Leute hier auf Anhieb und so perfekt verstehen? Das ist doch nicht die Anderswelt, oder?«
»Anderswelt? Ah, ich verstehe. Nein, diese einzelnen Reiche sind erst im Entstehen; es gibt derzeit nur eine gemeinsame Welt der Elfen und Menschen. Atlantis allerdings ist ein Reich für sich, das erste überhaupt, und seine Sprache ist die Grundlage für alle Sprachen, die noch daraus entstehen werden. Du hörst also die Ursprache, weswegen sie dir vermutlich irritierend vertraut vorkommt.«
Nadja war fasziniert. Aber sie musste bei der Sache bleiben. »Kannst du mich durch ein Zeitportal zurückschicken? Du hast mir einmal gesagt, dass du außerhalb der Zeit stehst.«
»Das gilt für mich, aber nicht für dich. Andererseits frage ich mich, wie du hierher gelangen konntest.« Der Getreue lehnte sich zurück, stützte die Ellbogen auf die Armlehnen und bildete mit den Fingerspitzen ein Dach.
Er wusste es nicht. Nadja war verdutzt. Sonst wusste er doch immer alles. Nun ja, meistens zumindest. »In meiner Zeit nennt man mich eine Grenzgängerin«, erklärte sie. »Die Elfen- und die Menschenwelt sind streng voneinander getrennt, doch gibt es Menschen wie mich, die zwischen ihnen wechseln können.«
»Aber das betrifft nur den Raum, nicht die Zeit.«
»Ja, normalerweise. Nur leider ist es so, dass … das Gefüge instabil geworden ist. Die Grenzen schwanken, und ich … verliere meinen Halt. Dass ich allerdings nicht nur durch die örtlichen Grenzen, sondern zudem durch die Zeit fallen könnte, damit habe ich nicht gerechnet. Ich bin aus meinem Hotelbett direkt hierher gestürzt. Unbeabsichtigt und unfreiwillig.« Das Wort »Hotelbett« klang seltsam in diesem Kontext, aber vielleicht erfasste der Getreue seine Bedeutung.
Was mache ich da nur?
, dachte sie verwirrt.
Ich sitze bei einem gemütlichen Plauderstündchen mit dem grusligsten Kerl aller Zeiten, der mir seit vielen Monaten das Leben schwer macht und meine
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