Schatten Blut
Beine zu machen.«
Diesmal lachte er schallend auf und trat etwas zurück. Dabei legte er den Kopf leicht schief und warf mir einen sehnsüchtigen Blick zu. »Komm schon, Faye. Lass mich rein. Ich werde auch ganz artig sein und wir unterhalten uns nur miteinander.«
Aha, Taktikänderung! Jetzt auf die sanfte Tour. Nicht mit mir!
»Weißt du was«, meinte ich in einem überheblichen Tonfall. »Geh nach Hause und spiel mit deinen Autos, Lagat. Über mich hast du keine Macht und deine albernen Spielchen kannst du dir schenken.«
Die Veränderung trat blitzschnell und unerwartet ein. Seine Augen glühten auf, sein Gesicht verzerrte sich zu einer grässlichen Fratze und mit lautem Fauchen sprang er auf mich zu. Aufschreiend wich ich zurück, erwartete, dass er mich packte. Doch wie an einer unsichtbaren Mauer prallte er in Höhe des Türrahmens ab.
Lass mich rein! brüllte es in meinem Kopf. Lass mich sofort rein!
Nun war mir klar, warum man Vampire hereinbitten musste. Ohne Erlaubnis konnten sie bewohnte Räume tatsächlich nicht betreten! Das war ein Schutz!
Ich fühlte ihn weiter wüten, hörte ihn in meinen Gedanken schreien und fordern. Und ich wusste, er konnte mir nichts tun. So trat ich mit festen Schritten an die Tür, blickte Lagat kalt an und schlug ihm dann die Tür vor der Nase zu. »Nein!«
»Das wirst du bereuen, Weib.« Ein harter Schlag traf die Tür, ein zorniges Fauchen folgte, dann trat Ruhe ein.
Langsam rutschte ich mit dem Rücken an der Wand hinunter und begann leise zu weinen.
I ch weiß nicht mehr, wie lange ich weinend an der Wand gesessen hatte. Ich weiß nur noch, dass ich anfangs vor Angst und auch Erleichterung zitterte, und später auf alles und jeden schimpfte. Selbst Gott kam nicht ohne Schelte davon, den ich für mein Schicksal verantwortlich machte und gleichzeitig erheblich kritisierte, solch dunklen Wesen die bloße Existenz überhaupt zu erlauben. Und wie es bei solchen Gesprächen immer ist, man bekommt keine Antwort – zumindest bekam ich keine.
Irgendwann versiegte auch die letzte Träne, egal ob nun aus Trauer oder Wut entstanden, und zurück blieb ein verquollenes Gesicht, dicke Augen und verschmierte Kosmetika. Mühsam schleppte ich mich ins Bad und entfernte die gröbsten Spuren. Als ich in den Spiegel sah, schauten mich übergroß aufgerissene, grüne Augen an, die den inneren Zwist meiner Empfindungen perfekt wiedergaben.
Hatte ich heute Vormittag noch so großspurig behauptet, keine Angst zu haben, so hatte sich das ins Gegenteil verkehrt. Ich hatte Angst! Angst davor, auch nur einen Fuß vor die Tür zu setzen und nach meiner Schwester zu suchen. Angst vor dem, was geschehen war und noch geschehen konnte. Angst vor dem Unbekannten. Meine gesamten Glaubenssätze waren bis in die Grundfesten erschüttert und ich hatte keine Ahnung, wie ich damit fertig werden sollte. Mein Selbstvertrauen und meine vermeintliche Sicherheit schienen zerstört. Wer oder was hatte mir das nehmen können? Und mehr noch, wie konnte ich es zurückbekommen? Essenzielle Fragen, auf die ich momentan keinerlei Antwort wusste.
Panisch zuckte ich zusammen, als ich ein kratzendes Geräusch an der Haustür vernahm. Kam er zurück? Schnell griff ich nach dem erstbesten Gegenstand und eilte in den Flur. Vieles hatte er mir bereits nehmen können, aber so leicht wollte ich es ihm dann doch nicht machen!
Ernestines Gesicht sprach Bände, als sie mich mit angriffsbereit erhobener, goldfarbener Klobürste mitten im Flur vorfand.
»Wen willst du denn damit erschlagen.« fragte sie erstaunt und schaute noch verblüffter, als ich Sekunden später mit lautem Schniefen in ihre Arme fiel. Sorgenvoll klopfte sie mir über den Rücken. »Mein Gott, Mädchen. Du bist ja völlig aufgelöst! Was ist denn geschehen.«
»Wo ist Julie.« fragte ich atemlos und blickte mich unter Tränen der Erleichterung um. Da erschien meine Schwester mit dem Dackel auf dem Arm in der Tür. »Na hier, wo sollte ich sonst sein.«
Auch sie umarmte ich sehr fest und ignorierte dabei Jackos leises Knurren.
»Was immer hier los war«, begann Ernestine und ging resolut in Richtung Küche. »Das werden wir bei einer Tasse Tee besprechen. Julie, sei doch so gut und gib Jacko eine Schale mit Wasser. Und du, Faye, bringst dich bitte erst mal in Ordnung. Ich setze derweil das Wasser auf.«
Irgendwie erinnerte Ernestine mich in diesem Augenblick an meine Großmutter. Egal welche Katastrophen uns ereilten, sie war der Fels in der
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