Schatten Blut
jemand entgegen brachte?
Recht wenig, Faye. Und ich werde mich bemühen, auf deine Gefühle Acht zu geben.
Wieder einmal hatte er meine Gedanken unerlaubt gelesen. Das machte mich noch fuchsiger als ich ohnehin schon war.
»Dann fang doch bitte damit an, indem du aufhörst, in meinen Gedanken zu stöbern! Die gehören nämlich mir!« Er holte schon Luft, da setzte ich hinzu: »Und selbst wenn ich innerlich schreien sollte!«
»Okay.«
Wie jetzt? Nur dieses eine Wort? Keine Gegenargumente? Keine Erklärungen? Keine Belehrungen? Einfach nur das?
Sein angedeutetes Lächeln zeigte an, dass er auch diese Gedanken aufgefangen hatte, doch diesmal erhielt ich wirklich keine Antwort. Zumindest keine in meinem Kopf nachhallende.
»Würdest du mir etwas erklären, Faye?« fragte er stattdessen laut und deutlich.
Sofort war ich auf der Hut. Was gab es, was ich ihm noch erklären konnte, welches er im Laufe der Jahrhunderte nicht hätte selbst erfahren können? Dennoch hatte er meine Neugierde geweckt und ich gab mich großzügig: »Okay. Was willst du wissen?«
»Danke. Es gibt etwas im Verhalten der Menschen, das ich in all den Jahren niemals ganz habe verstehen können.« Darian legte den Kopf etwas schief und betrachtete mich interessiert. »Warum bekämpft ihr Menschen immer genau diejenigen am stärksten, die euch am nächsten stehen?«
Er hatte es geschafft. Ich war perplex. Wenn ich auch mit allem gerechnet hätte, dann doch niemals mit einer Frage von solch philosophischem Ausmaß. Ich trat zwei Schritte zurück, setzte ich mich auf die Kante der Bank und runzelte die Stirn. Darian war mir gefolgt, hockte sich direkt vor mich und sah mich weiterhin fragend an.
»Ich glaube, diese Frage solltest du besser einem Philosophen, besser noch einem Psychiater stellen, Darian.«
»Ich möchte die Antwort von dir hören, Faye.«
»Na ja. Ich vermute mal«, begann ich langsam, »es liegt wohl daran, dass sie uns besonders am Herzen liegen. Je näher wir einander stehen, desto weniger Raum bleibt für Idealismus und Individualität. Es liegt in der Natur des Menschen, enge Gemeinschaften zu bilden und gleichzeitig die eigenen Interessen durchsetzen zu wollen. Wir möchten Anteil am Leben des Anderen haben und gleichzeitig Einfluss darauf ausüben, aber auch völlig frei sein, besonders in unseren Gedanken. Vieles geschieht aus dem Wunsch heraus, doch nur das Beste für den Anderen zu wollen und gleichzeitig auch für sich das Beste einzufordern. Daraus ergeben sich automatisch Konflikte.«
»Wie oft wird im Namen von Kirche und Glauben gekämpft? Und wie oft wird jemand im Namen der Liebe zum Krüppel geschlagen oder gar getötet?« warf Darian ein. »Ihr beraubt euch gegenseitig eures Willens, untergrabt gegenseitigen Respekt und gebt euch der Heuchelei hin, die über Zwang und Unterdrückung, zudem unter dem Deckmantel der Nächstenliebe als Tat legitimiert wird.«
»Es hängt wohl viel mit dem Alter Ego zusammen. Und auch mit erlernten Mustern. Kaum ein Mensch ist bereit, sich völlig aufzugeben und den anderen gewähren zu lassen. Es sei denn, er kennt nichts anderes als Unterdrückung und Gewalt. Und selbst dann ist niemals sicher, in welche Richtung er schwenken wird. Entweder bricht sein Wille oder aber er greift zur Axt.«
»Und um das eigene Interesse zu wahren, zerfleischt ihr Menschen euch fast gegenseitig?« resümierte er nachdenklich. »Da wird uns Manipulation und Heimtücke vorgeworfen, obwohl ihr Menschen selbst Meister auf dem Gebiet seid. Wir bräuchten letztendlich nur noch die Reste zusammenzufegen, die ihr von euch selbst übrig gelassen habt. Wo ist da der Sinn?«
»Stimmt. Betrachtet man diese menschliche Überlebensstrategie mal von eurer Seite aus, ist diese mehr als dürftig. Wundert mich da natürlich nicht, dass ihr bisweilen extrem leichtes Spiel habt, den Willen von Menschen so weit zu manipulieren, dass sie sich euch schon von ganz alleine in die Hände spielen. Haben wir dieses Spiel doch selbst erfunden und ihr hattet eine Ewigkeit Zeit, die Regeln eingehend zu studieren.«
»Es ist kaum das Spiel selbst, das den Reiz ausmacht. Es sind eure Gefühle.«
Ich blinzelte nicht verstehend. »Erklärst du es mir?«
Darian nahm meine Hände in seine und führte sie sacht an seine Lippen. Ein leichter Schauer lief über meinen Körper und erinnerte mich an das, was uns vor zwei Nächten miteinander verbunden hatte. Er war meinen Gedanken wieder einmal gefolgt und lächelte
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