Schatten der Angst (German Edition)
Sie mir beim Abendessen Gesellschaft geleistet haben. Falls Sie von zu Hause aus Probleme mit dem Zugang zum Computersystem haben, sagen Sie mir Bescheid. Oder wenn Sie gern mit jemandem reden möchten – ich bin jederzeit für Sie da.«
Bevor sie etwas erwidern konnte, hatte er sich bereits umgedreht. Sie schloss die Küchentür ab, schaltete die Alarmanlage ein und trottete in ihr Wohnzimmer. Während sie sich auf die Couch fallen ließ, fragte sie sich, was geschehen wäre, wenn sie zugelassen hätte, dass er sie berührte. War er wirklich an ihr interessiert, oder wollte er einfach nur mehr über ihre Entführung wissen? Würde er ihr mit dem Daumen auf die gleiche Art über die Unterlippe streichen, wie er es an jenem Tag bei der Stoffserviette getan hatte? Würde er ihr die Hand in den Nacken legen und sich zu ihr hinunterbeugen, um sie zu küssen?
In den letzten Jahren hatte sie sich eingeredet, dass sie niemanden brauchte, dass sie die Berührung eines anderen Menschen nicht brauchte. Wichtig war nur ihre Sicherheit. Als sie Logan traf, war ein Teil von ihr wieder zum Leben erwacht, von dem sie vergessen hatte, dass er überhaupt existierte.
Sie erhob sich von der Couch und marschierte vor dem Kamin auf und ab. Sie zitterte am ganzen Körper und ballte die Hände zu Fäusten. Sie konnte nicht klar denken, so viele Gedanken und Gefühle wirbelten in ihrem Kopf herum.
Ein namen- und gesichtsloser Mörder hatte ihr so unendlich viel genommen, weit mehr, als ihr bisher bewusst gewesen war. Sie hatte das Gefühl gehabt, viele kleine Siege errungen zu haben. Sie trug ihr Haar weiterhin lang, nur um zu beweisen, dass die Obsession des Killers sie nicht dazu gebracht hatte, es abzuschneiden. Sie hatte sich in Selbstverteidigung geübt, hatte gelernt, mit einer Pistole umzugehen und sich mithilfe eines Messers zu verteidigen. In ihrem Haus war sie in Sicherheit – hier konnte ihr niemand etwas anhaben.
Lügen. Das alles waren nur jämmerliche Lügen. Sie hatte sich selbst belogen, sich eingeredet, alles unter Kontrolle zu haben, aber in Wirklichkeit war es der Mörder, der die Kontrolle hatte. Er war derjenige, der Macht ausübte. Er hatte ihr Leben zerstört, sie dazu gebracht, sich vor Angst in sich selbst zu verkriechen, und sie dazu gezwungen, alles aufzugeben, was ihr wichtig gewesen war. Das würde sie ändern müssen. Sie konnte ihm nicht länger den Sieg überlassen.
Sie hörte auf umherzutigern und eilte zurück in die Küche, wo sie ihre Handtasche stehen gelassen hatte. Der gelbe Klebezettel mit ihrem Benutzernamen und dem Passwort winkte ihr zu wie ein Fanal der Hoffnung. Sie schnappte sich den Klebezettel und lief eilig zurück zu ihrem Computer.
Keine Lügen, keine Ausflüchte mehr. Es war Zeit, sich ihr Leben zurückzuholen. Es war Zeit, einen Mörder zu fangen.
6
»Wissen Sie, solche Aufgaben werden normalerweise von Aushilfskräften erledigt.« Pierce schnippte angewidert einen Staubfussel von seiner Anzugjacke. »Ich verstehe immer noch nicht, warum wir dieses fiese Lagerhaus selbst durchsuchen müssen, noch dazu vor dem Frühstück.« Er zog sein Jackett aus und legte es über den halb zerfetzten Lederstuhl, der einst die Eingangshalle des Rathauses geziert hatte.
Logan machte ihn lieber nicht darauf aufmerksam, dass nicht das Alter den Stuhl so zugerichtet hatte. Ratten hatten ihn angefressen. Er und Riley grinsten sich zu und warfen einen weiteren Karton, auf dem »Verschiedenes« stand, auf den anwachsenden Haufen, der sich in der Mitte des Betonbodens auftürmte. Die beiden Männer hatten ihren Spaß daran, wie der geleckte Agent von der Bundespolizei sich in einer ländlichen Stadt mit all ihren Reizen einzugewöhnen versuchte.
»Seien Sie froh, dass wir nicht über ein Alligatorennest gestolpert sind – immerhin sind die Sümpfe ganz in der Nähe.« Logan warf einen weiteren Karton auf den Haufen und weidete sich an Pierces erschrockenem Gesichtsausdruck. »Im Übrigen stecken wir im Moment jeden Cent, den unser Budget hergibt, in diesen Fall. Ich werde keinesfalls wertvolle Ressourcen verschwenden, indem ich eine Aushilfskraft für eine Aufgabe einstelle, die wir in ein paar Stunden selbst erledigen können. Und ganz sicher werde ich keine Leute aus meinem oder ihrem Team von den Ermittlungen abziehen, um das hier zu erledigen.«
Riley ächzte bei dem Versuch, einen der schweren Kartons mit der Aufschrift »Rathaus« von der Stelle zu bewegen. Pierce kam ihm zu Hilfe, und
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