Schatten der Angst (German Edition)
entgegen.
Der Name › Jones ‹ ließ sie innehalten, und ihr wurde klar, dass sie sich in den letzten Tagen wieder an Stockton gewöhnt hatte, da die Polizisten sie immer mit diesem Namen angesprochen hatten.
»Vielen Dank, Mr Reynolds«, murmelte sie. Eine Gruppe Trauernder näherte sich dem Blumenwagen, deshalb ging sie schnell weiter und hielt den Kopf gesenkt. Normalerweise plauderte sie noch etwas mit Mr Reynolds. Er war immer nett zu ihr und lebte in ihrer Nachbarschaft, außerdem schien er zu verstehen, dass sie nicht gern über ihre Narbe sprach. Sie war sich sicher, dass er es ihr nicht übel nehmen würde, dass sie dieses Mal nicht für ein Schwätzchen stehen geblieben war.
Das Geräusch von knirschendem Kies ließ sie zusammenzucken, doch es war nur einer der beiden Polizisten in Zivil, der ihr in wenigen Metern Entfernung folgte.
Sie ging einen Pfad zwischen den Grabsteinen entlang und blieb unter einer Eiche stehen, von der zartgliedrige Dschungelmoosranken herabhingen. Ihre Mutter hatte Eichen geliebt, aus diesem Grund hatte Amanda diese Stelle für das Grab ihrer Eltern ausgewählt. Der Schatten des Baumes war wohltuend und senkte die drückenden Temperaturen um mehrere Grade. Dennoch war es an diesem Tag so heiß, dass ihre Lungen bei jedem Atemzug zusammenzukleben schienen. Ihrem Polizeischatten machte die Hitze ebenfalls zu schaffen. Er war in der Nähe unter einem Baum stehen geblieben und nutzte die Atempause im Schatten, um seine Krawatte zu lockern.
Die warme Brise brachte keine Erleichterung, aber immerhin wehte mit ihr der Duft frisch gemähten Grases herüber. Zusammen mit dem süßen, zarten Duft der Nelken erinnerte der Geruch Amanda an bessere Zeiten, an Sommer, die sie gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrem Vater und ihrer kleinen Schwester verlebt hatte.
Amanda beugte sich vor und säuberte mit dem pinkfarbenen Einwickelpapier der Blumen den schwarzen Granitgrabstein, der auf dem Grab ihrer Eltern stand. Dann stellte sie die Nelken in die beiden Vasen. Normalerweise sprach sie ihre Gedanken laut aus, erzählte ihren Eltern, was sie in der vergangenen Woche erlebt hatte. Oder manchmal, wenn sie Neuigkeiten von Heather hatte – was allerdings nur selten vorkam –, dann erzählte sie ihnen von ihrer Schwester.
Trotz der Hitze fröstelte sie. Sie wollte ihren Eltern lieber nichts von dem erzählen, was sich in der vergangenen Woche ereignet hatte. Und in Anbetracht der Tatsache, dass der Polizist nur wenige Meter entfernt stand, fühlte sie sich auch nicht wohl damit, ihre Gedanken laut auszusprechen. Stattdessen setzte sie sich in das dichte Gras zwischen den Gräbern und gestattete sich ein paar Minuten stillen Gedenkens.
Es war schön gewesen, in Florida aufzuwachsen. Der Bürojob ihres Vaters in einer Versicherungsfirma hatte zwar nicht viel Raum für Extras gelassen, aber es hatte gereicht, um die Rechnungen zu bezahlen, und sie hatten ein Dach über dem Kopf gehabt. Ihre Mutter war zu Hause geblieben, um die beiden Mädchen großzuziehen, und war mit ihnen bei jeder sich bietenden Gelegenheit zum Strand gefahren. An den Wochenenden hatten sie auf der Veranda gegrillt oder manchmal auch die Nachbarn besucht, um in ihrem Pool zu schwimmen.
Amanda lächelte bei der Erinnerung daran, wie aufgeregt ihr Vater gewesen war, als er befördert wurde und die Bonuszahlung erhielt. Heather war zu der Zeit bereits in ihrem vierten Collegejahr gewesen, und Amanda hatte damals ihren Abschluss gemacht und angefangen, als Computerprogrammiererin zu arbeiten. Zum ersten Mal seit ihrer Hochzeitsreise, die vierundzwanzig Jahre zurücklag, konnten ihre Eltern sich eine richtige Reise leisten. Sie hatten sich so sehr auf ihren bevorstehenden Urlaub in Italien gefreut.
Amandas Lächeln verblasste. Der Flugzeugabsturz hatte nicht nur ihre Eltern das Leben gekostet, er hatte auch einen Keil zwischen sie und ihre Schwester getrieben. Es war auch nicht hilfreich gewesen, dass Amanda diejenige gewesen war, die die Reise vorgeschlagen hatte. Und dann war da noch John, Heathers Ehemann.
Kopfschüttelnd verscheuchte Amanda die unschönen Gedanken. Der Polizist, der sich in geringer Entfernung an den Baum lehnte, war bemüht, sie möglichst unauffällig im Auge zu behalten. Doch sein missbilligender Gesichtsausdruck und die Art, wie er sein Umfeld scannte, machten deutlich, dass er sie nicht gern hier draußen im offenen Gelände sah.
Sie fühlte sich ebenfalls nicht wohl, aber es gab Verpflichtungen, die
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