Schatten der Angst (German Edition)
wegzustoßen, doch er ignorierte ihre Versuche, ihn abzuwehren, hob sie hoch und trug sie aus dem Arbeitszimmer.
Sie hätte nicht zulassen dürfen, dass er sie wie ein hilfloses kleines Kind hochhob, doch es fühlte sich so gut an, gehalten zu werden, dass sie ihre Arme um seinen Nacken schlang und sich an seine Brust kuschelte. Wenn es ihm nichts ausmachte, dass ihre Tränen sein Hemd durchnässten, dann war es ihr auch egal.
Er brachte sie in das große Schlafzimmer. Nachdem er sie sanft auf die kühlen Baumwolllaken gebettet hatte, verschwand er in das angrenzende Badezimmer. Sie hörte das Geräusch von fließendem Wasser, und eine Sekunde später saß er auf dem Rand ihres Bettes und wischte ihr mit einem warmen, feuchten Waschlappen die Tränen ab.
Seine Augen waren dunkler geworden und leuchteten jetzt in einem intensiven Moosgrün, und sie fragte sich, was er wohl dachte. Er hatte ihr Geständnis gehört. Selbst ohne die genauen Einzelheiten ihrer Flucht zu kennen, wusste er jetzt, dass sie davongekommen war und nicht das Recht dazu gehabt hatte. »Sie halten mich jetzt bestimmt für einen schrecklichen Menschen, nicht wahr?«, flüsterte sie, während sie ins Kissen schluchzte und den vertrauten Geruch der Seife einsog, die Logan benutzte.
Der Waschlappen wanderte weiter mit langsamen, beruhigenden Bewegungen über ihre Wangen und ihre Stirn. »Ich halte Sie für einen großartigen Menschen«, flüsterte er.
Sie schüttelte abwehrend den Kopf, hatte jedoch nicht mehr die Kraft, ihm zu widersprechen. Sie war so müde. Ihre Augenlider waren wie aus Blei, unendlich schwer.
Da war noch etwas, eine schattenhafte Erinnerung, die ihr immer wieder entglitt und gleichzeitig darum kämpfte, wieder an die Oberfläche zu gelangen. Schließlich erinnerte sie sich. Während sich ihre Augenlider schlossen, murmelte sie: »Er nannte mich Kate.«
Er nannte sie Kate?
Logan war sich der Bedeutung ihrer Worte nicht gleich bewusst, und in dem Moment war es ihm auch gleichgültig. Das Martyrium, das Amanda hatte durchleiden müssen, war weitaus schlimmer gewesen, als aus den Polizeiberichten hervorging. Und obgleich sie mit dem Leben davongekommen war, war die grausamste Strafe von allem, dass sie niemals Leben würde schenken können, keine eigenen Kinder haben konnte.
Er hätte sie niemals darum bitten dürfen, über ihre Entführung zu sprechen. Einen anderen Menschen so etwas noch einmal durchleben zu lassen, war einfach zu viel verlangt. Er hätte alles darum gegeben, seine Worte zurücknehmen zu können, aber das war unmöglich. Was geschehen war, war geschehen, und jetzt konnte er ihr nur noch auf jede erdenkliche Art zur Seite stehen.
Er strich ihr weiter sanft mit dem Waschlappen über das Gesicht, bis er sicher war, dass sie schlief. Dann legte er ihn beiseite und blickte hinunter auf ihr blasses, tränenüberströmtes Gesicht, dessen Stirn selbst im Schlaf noch sorgenvoll wirkte. Ihre Finger umklammerten das Laken und drückten es wie eine Schmusedecke an ihre Brust.
Mit der Unterseite des Daumens streichelte er sanft über ihre zu Fäusten geballten Finger und murmelte beruhigende Worte, wie er es einst für seine kleine Schwester getan hatte, wenn sie schlecht geträumt hatte. Madison hatte die für ein kleines Kind typischen Albträume gehabt, Träume, in denen es von Drachen und anderen imaginären Monstern wimmelte. In Amandas Albträumen gab es vermutlich echte Monster, die sich nicht in Luft auflösten, sobald man erwachte.
Als sich ihre Stirn glättete und sie in einen tieferen, ruhigeren Schlaf glitt, setzte er sich auf einen Stuhl, der neben ihrem Bett stand. Mit zitternder Hand fuhr er sich durchs Haar und dachte über das nach, was sie ihm gesagt und was sie nur angedeutet hatte, sowohl heute Abend als auch am vergangenen Tag in der Hütte.
Das meiste, was sie ihm erzählt hatte, wusste er bereits aus den Polizeiberichten. Dass der Mörder gesummt hatte, war neu. Diese Information war ihm zunächst nicht besonders bedeutsam erschienen, dennoch ging sie ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er wusste, dass er schon einmal etwas Ähnliches gehört hatte. Vielleicht war es nicht konkret um einen summenden Mörder gegangen, aber es war etwas über einen Mörder und Musik gewesen.
Letzten Endes würde es ihm wieder einfallen.
Dass der Mörder sie Kate genannt hatte, schien wesentlich bedeutsamer zu sein. Am nächsten Tag würde die wichtigste Aufgabe für seine Detectives darin bestehen, herauszufinden,
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